Rosenwahn
nichts sagen dürfe, was jedes Mal zu Enttäuschung und Entrüstung führte. Der einzige Trost an diesen Nachmittagen waren die Kuchen, die Johanna immer noch selbst buk, auch wenn es ihr zunehmend schwerfiel. Heute hatte sie eine köstlich erfrischende Rhabarbertorte und ihren berühmten Zitronenkuchen aufgetischt und lud ihren Gästen gern damit die Teller voll. War sie immer die Erste, die Georg wegen seines Bauchansatzes tadelte, so sehr freute sie sich, wenn er an ihrer Kaffeetafel ordentlich zulangte.
Sie hatte ihm ein zweites Stück Rhabarbertorte geradezu aufgedrängt, das er nun mit Bedacht verspeiste, begleitet von dem wie immer viel zu dünnen Kaffee in Johannas Haus. Während er so die aus Mürbeteig und einer Eiermandelfüllung mit Rhabarber bestehende Kreation sorgsam auf seine Kuchengabel lud, dachte er daran, wie Astrid ihn aus der kleinen Straße hinter dem Burgfeld abgeholt hatte, wo Steffens Haus lag. Er hätte den Weg zu seinen Schwiegereltern auch in zehn Minuten zu Fuß zurücklegen können, doch offensichtlich war es Astrid wichtig gewesen, gemeinsam mit ihm dort anzukommen. Die Ehen ihrer beiden Schwestern waren allgemein als nicht besonders glücklich bekannt und womöglich wollte sie nicht irgendwelchen Spekulationen Nahrung geben, weil sie und ihr Mann zurzeit nicht unter einem Dach wohnten. Auf der kurzen Fahrt zu ihren Eltern hatte sie Georg vorgeschlagen, diesen Umstand am besten gar nicht zu erwähnen.
»Was ist denn dabei, wenn ich das Haus meiner Freunde hüte, solange sie verreist sind?«, hatte Georg absichtlich gefragt.
Nach kaum merklichem Zögern hatte Astrid nur gemeint, dass ihre kleinkarierten Schwestern und Schwager das auch falsch verstehen könnten, was ja nun wirklich nicht sein müsse, oder ob er Lust auf dumme Fragen hätte. Da hatte sie natürlich recht, das hatte er ganz bestimmt nicht.
Auf seine Erkundigung, wie denn ihre Segelpartie gewesen sei, bekam er nur ein »War natürlich klasse. Bei dem Wetter! Und Superwind hatten wir« als Antwort.
»Und was hast du so gemacht?«
»Erst haben wir am Kanal gepicknickt und am Nachmittag Freunde im Lauenburgischen besucht.«
»Wer wir?«, fragte Astrid und sah ihn prüfend von der Seite an.
»Derya und ich.«
»Deine türkische Nachbarin?«, kam es erstaunt von der Fahrerseite.
»Deutsch-türkische Nachbarin«, korrigierte Georg, und dann schwiegen sie beide erst einmal.
»Du bist ja immer schon sehr schnell ziemlich eng mit den Leuten gewesen«, sagte Astrid auf einmal in die Stille. Georg hob ob dieser Kritik, denn das war es aus Astrids Mund, nur gleichgültig die Schultern. Was sollte er dazu sagen? Ja, ihm fehlte die hanseatische Zurückhaltung seiner Frau. Wenn ihm jemand sympathisch war, dann zeigte er das auch. Warum sollte man eine formelle Anstandsfrist einlegen, bevor man seine Zeit mit netten Menschen verbrachte? Oder war Astrid so erstaunt, weil Derya türkischstämmig war? Das konnte er sich bei seiner weltoffenen Frau eigentlich nicht vorstellen. Es blieb ihm keine Gelegenheit mehr, länger über diese Frage nachzusinnen, denn sie waren mittlerweile am Stadtpark angelangt.
Da er sich an der Konversation bei diesen familiären Zusammenkünften ohnehin nie groß beteiligte, kam er auch nicht in die Verlegenheit, bestimmte Dinge aus seinem momentanen Alltag verschweigen zu müssen. Nur einmal, als sein Schwager Peter, Hotelier in Niendorf, wieder einmal lautstark seine Biertischparolen zu ausländischen Mitbürgern, insbesondere Türken, zum Besten gab, konnte Georg sich nicht zurückhalten und hätte fast seine neue Nachbarin erwähnt – doch Astrid, stets wachsam um ihr Ansehen bemüht, auch oder gerade innerhalb ihrer eigenen Familie, hatte ihn mit einem eindeutigen Blick an ihre Sprachregelung erinnert.
»Wie viele Türken kennst du denn, Peter, dass du so genau Bescheid weißt?«, fragte Angermüller stattdessen seinen Schwager.
»Na hör mal, Türken kennt doch jeder! Die arbeiten doch überall, auf dem Markt, im Kaufhaus, mittlerweile auch bei der Post, und sogar bei euch bei der Polizei nehmen sie schon welche!«
»Stimmt. Das ist eine ausgesprochen positive Entwicklung. Aber wir könnten noch viel mehr davon brauchen. Die türkischstämmigen Kollegen sind eine große Hilfe, wenn wir es mit Migranten zu tun haben. Aber ich habe eigentlich nach deinen privaten Beziehungen zu ausländischen oder türkischen Mitbürgern gefragt, weil du dich ja so gut mit denen auskennst. Ich meine, da haben
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