Rosenwahn
Woche nicht wieder bei dir aufgetaucht ist, dann sehen wir weiter.«
Nachdem sie Johannas blühenden Garten bewundert hatten, mit seinen Fliederbüschen, Pfingstrosen und einer Rosa alba, wie Georg zum Erstaunen aller mit Kennermiene angemerkt hatte, saßen sie wieder einmal im traulichen Familienkreise bei seinen Schwiegereltern am Kaffeetisch. Angermüller fragte sich, wer außer den Gastgebern hier eigentlich freiwillig seinen Sonntagnachmittag verbrachte. Seine Schwiegermutter hätte es im Grunde nur recht und billig gefunden, jeden Sonntag ihre drei Töchter mit ihren Familien bei sich zu haben. Schließlich wohnten sie alle in der Nähe, Astrid direkt in Lübeck, Sigrid in Travemünde und Gudrun in Niendorf.
»Wisst ihr, wie das bei uns früher war?«, fragte Johanna immer wieder einmal in die Runde, wenn lange keiner dieser zähen Sonntagnachmittage stattgefunden hatte. »Da gab das gar keine Ausrede. Am Sonntag ging es zu meinen Eltern. Mein Bruder mit Familie war auch da und manchmal meine Schwiegereltern. Da wären wir nie auf gekommen, etwas anderes zu wollen. Das gehörte sich einfach so.« Bitterkeit lag in Johannas Stimme, wenn sie fortfuhr: »Na ja, wir zählen ja schon zum alten Eisen, wir sind eben nicht modern. Und ihr wisst das ja man sowieso alles besser heute, ihr Jungschen.«
Nur die siebenjährige Laura und ihr Bruder Philipp waren von den Enkeln an diesem Nachmittag bei den Großeltern vertreten, die Größeren wehrten sich inzwischen erfolgreich gegen den elterlichen Zwang. Philipp, mit seinen 13 Jahren so alt wie Angermüllers Töchter, war sehr enttäuscht, seine Cousinen wegen ihrer Klassenfahrt nicht anzutreffen. Außer ständigen Streitereien mit seiner kleinen Schwester wusste er vor lauter Langeweile nichts mit sich anzufangen. Doch auch die Erwachsenen quälten sich nur mehr oder weniger apathisch durch den Nachmittag.
Der Einzige, für den Angermüller es wert fand, hier zu sein, war sein Schwiegervater. Heini, mittlerweile 81, ging es nicht besonders gut. Schon lange hörte er schwer und hatte Probleme mit dem Gehen. Nun hatten sich auch noch Herzrhythmusstörungen dazu gesellt. Trotzdem war der alte Mann nicht unzufrieden oder griesgrämig und konnte sich an vielen kleinen Dingen freuen. Man hörte ihn nie jammern. Heini war einfach ein angenehmer Mensch, herzlich, zugewandt, nach wie vor an seiner Umwelt interessiert. Er freute sich immer, wenn Besuch da war und er Unterhaltung hatte – auch wenn er ab und zu zwischendurch ein kleines Schläfchen hielt.
Johanna, die in einigen Wochen ihren 77. Geburtstag feierte, war immer noch die Autorität im Hause, vor der die Töchter, ja die ganze Familie, großen Respekt hatte. Manchmal fragte sich Georg, ob da wohl auch die Aussicht auf das Erbe eine Rolle spielte und sich mancher ausrechnete, bei Wohlverhalten in höherem Maße bedacht zu werden. Wie immer in weißer Bluse, die Perlenkette um den Hals und tadellos frisiert, präsidierte seine Schwiegermutter am Ende der Kaffeetafel und hatte alle und alles in ihrem strengen Blick. Da gegen Abend Gewitter angesagt waren, fand das Kaffeetrinken im Esszimmer unter den düsteren Porträts von Johannas Großeltern statt. Manch ein sehnsuchtsvoller Blick wanderte vom Kaffeetisch nach draußen in den strahlenden Maisonntag.
In letzter Zeit zeichnete sich in der Beziehung zwischen Angermüller und seiner Schwiegermutter eine kleine Veränderung ab – Verbesserung wäre ein zu großes Wort gewesen. War es die stetige Sorge um ihren Mann, war es eine tatsächlich einsetzende Altersmilde, die sie weicher und verletzlicher erscheinen ließ, es gab Momente, da schimmerte bei Johanna so etwas wie Herzlichkeit ihrem Schwiegersohn gegenüber durch. Natürlich wusste er, dass er niemals ihren Ansprüchen gerecht werden konnte: Ziemlich sicher würde sein beruflicher Aufstieg nicht über den Kriminalhauptkommissar hinausgehen, in ihren Augen also völlig indiskutabel. Sein widerspenstiges, lockiges Haar, sein legerer Kleidungsstil und seine leicht übergewichtige Statur hatten mit ihrem Männerbild nichts, aber auch gar nichts gemein, und seine immer noch fränkisch gefärbte Sprache beleidigte ihr hanseatisches Wesen.
Wie gewöhnlich bei diesen Zusammentreffen drehten sich auch heute die Gespräche um Wetter, Urlaub, Auto, ab und zu auch um die Kinder, und wie stets kam irgendwann die Frage nach Angermüllers aktuellem Fall. Und wie stets antwortete Georg, dass er zu laufenden Ermittlungen
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