Rosenwahn
Deryas Verstimmung hatte sich wohl wieder gelegt, was Angermüller durchaus freute.
»Aber klar«, versprach er. »Steffen und David kommen doch erst Ende nächster Woche zurück.«
Derya fühlte sich besser. Zum einen wegen Gül. Wie hatte Georg gesagt? Sie hatte getan, was sie tun konnte, und nun war die Polizei dran. Dieser Gedanke hatte etwas Beruhigendes. Und das Zusammentreffen mit Georg war viel einfacher gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Stimmung zwischen ihnen war gelöst und unbefangen, und sie bedauerte, dass er heute Abend keine Zeit hatte. Ihre Kopfschmerzen waren fast weg. Sie hätte jetzt gern mit jemandem geklönt, hatte Lust, irgendwo eine Kleinigkeit essen und ein Glas Wein trinken zu gehen.
Sie rief Koray auf seinem Handy an, um ihn einzuladen, doch der sagte ihr, dass die Probe mit seiner Band noch länger dauern würde und er außerdem schon gegessen hätte. Jetzt hatte sie erst recht keine Lust, schon nach Hause zu fahren und dort allein zu sein. Also versuchte sie, ihre Schwester zu erreichen, doch die hatte wohl mal wieder eine Sitzung mit ihren Parteifreunden und das Handy ausgeschaltet. Aylin meldete sich gut gelaunt vom Autotelefon. Sie war mit Kajott unterwegs nach Sylt zu einem Golfturnier.
Spontan entschied Derya sich, zum Krisenzentrum zu fahren. Friedes Sprechstunde dauerte bis 20 Uhr, und bis dahin war es noch eine Viertelstunde. Vielleicht hatte die Freundin ja Lust, mit ihr irgendwo nett essen zu gehen. Dann konnte sie ihr auch gleich berichten, wie es bei Georg gewesen war. Vielleicht würde sie ihr bei der Gelegenheit erzählen, was für einem bescheuerten Irrtum sie bezüglich seiner Person erlegen war.
»Derya, du schon wieder! Ist was passiert?«, fragte Friede überrascht und besorgt, als sie aus der Beratung kam und die Freundin im Warteraum des Zentrums sitzen sah.
»Keine Sorge, mir geht’s gut. Ich mag nur heute Abend nicht allein zu Hause sitzen. Und jetzt wollte ich dich einfach ganz spontan fragen, ob du Lust hast, mit mir essen zu gehen?«
Friede überlegte einen Moment. »Tja, warum eigentlich nicht. Ronald hat heute seinen Musikkreis, und Ruben, der mich gleich abholen wollte, rief vorhin an, dass es bei ihm eine ganze Ecke später wird. Gerade hab ich mir überlegt, in der Praxis auf ihn zu warten und noch ein bisschen zu arbeiten. Aber mit dir, das ist natürlich netter. Wo wollen wir hin? Dann kann er mich dort ja abholen.«
Sie entschieden sich für ein beliebtes Lokal in der Wahmstraße und fanden sogar noch einen freien Tisch. Derya bestellte Risotto mit grünem Spargel und Friede Ricottataschen mit Salbeibutter und Pinienkernen. Die Bedienung war schnell und freundlich und die Speisen von guter Qualität. Derya genoss ihr erstes Glas Chardonnay und fühlte sich pudelwohl. Sie hatten zusammen einen halben Liter geordert, doch Friede trank kaum davon und hielt sich am Wasser schadlos. Zufrieden hörte sie Deryas Bericht über ihren Besuch bei der Kripo und dass sie eine Vermisstenanzeige wegen Gül aufgegeben hatte.
»Das hast du gut gemacht, Mädchen. Mehr kannst du wahrscheinlich wirklich nicht tun.«
Derya nickte. Sie rätselten noch einen Moment über die beiden toten Mädchen, dann sagte Friede: »Lass uns jetzt bitte von was anderem sprechen. Ich habe eben genug von solchen traurigen Geschichten gehört …«
»Kann ich mir vorstellen. Ich wollte dir sowieso noch etwas anderes erzählen. Das ist ziemlich lustig, glaub ich. Inzwischen kann ich sogar selbst schon drüber lachen. Du darfst aber niemandem was davon weitersagen, Friede, bitte! Es ist nämlich so unglaublich peinlich!«
Derya leerte ihr zweites Glas Wein und musste schon im Vorhinein grinsen. Und dann erzählte sie ihrer Freundin mit einigen Unterbrechungen, weil sie immer wieder in sich hinein kicherte, welcher Lapsus ihr in Bezug auf Georgs Person unterlaufen war. Friede fand die Geschichte natürlich auch köstlich.
»Ich habe mich zwar etwas gewundert, weil Georg ja gar nicht so typisch wirkte. Aber so wie du über ihn geredet und ihn vorgestellt hast, hab ich selbstverständlich auch angenommen, er ist schwul«, meinte sie, als Derya geendet hatte.
»Wirklich, hab ich das? Oh, wie unangenehm!« Noch im Nachhinein schämte sich Derya dafür. »Aber ich war ja vorhin bei ihm. Ich glaube, es ist alles wieder okay zwischen uns. Wie gesagt, er war ja selbst schuld. Hat mit keinem Wort seine Familie erwähnt.«
Derya bestellte noch ein Viertel Chardonnay, und
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