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Rosenwahn

Titel: Rosenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sie schwatzten angeregt weiter über gemeinsame Bekannte, über ihre mehr oder weniger erwachsenen Kinder, über Pläne für die Ferien. Gerade hatte sich Derya den letzten Rest des Weines eingeschenkt, da tauchte Ruben an ihrem Tisch auf. Sie begrüßten sich. Derya dachte wieder, was für ein gut aussehender, junger Mann aus dem kleinen, niedlichen Jungen geworden war, den sie vor 16 Jahren kennengelernt hatte. Mit seinem blonden Lockenkopf glich er auch heute noch den Engeln auf alten Gemälden.
    »Na, Herr Sohn, magst du noch irgendwas essen oder trinken?«, fragte Friede, aber Ruben winkte ab. »Du bist müde«, meinte sie dann nach einem Blick in sein Gesicht. »Es ist ja auch schon nach zehn, du musst früh raus und ich muss morgen um neun wieder in der Praxis sein. Wir trinken noch kurz aus und fahren dann, ja? Okay, Derya?«
    Auch Derya hatte am nächsten Tag ein großes Programm für ihren Büffetauftrag, sodass ihr der Aufbruch ganz recht kam. Als sie aufstand, fragte sie sich, wie sie nach Hause kommen sollte. Sie hatte fast den ganzen Wein allein getrunken – Autofahren sollte sie wohl besser nicht mehr. Friede schien dasselbe gedacht zu haben.
    »Sollen wir dich vielleicht mitnehmen, Derya?«
    »Vielen Dank für das Angebot. Das wäre ganz vernünftig, glaube ich.«
    Es war etwas eng auf der Beifahrerbank des kleinen Lieferwagens, mit dem Ruben seine Mutter abholte. Unter viel Gelächter drängten sich Derya und Friede mehr über- als nebeneinander. Doch für die kurze Strecke bis hinter das Burgfeld war es auszuhalten. Derya bedankte sich für den schönen Abend und fürs Mitnehmen. Friede umarmte sie zum Abschied und sagte, sie sei froh, dass es ihr wieder gut gehe.
    Durch den immer noch tröpfelnden Regen lief Derya zu ihrem Haus. Koray war inzwischen auch nach Hause gekommen und saß vor seinem Computer. Sie ermahnte ihn, bald schlafen zu gehen, ging ins Badezimmer und fiel dann ziemlich müde ins Bett. Mit dem guten Gefühl, heute einiges geregelt zu haben, schlief sie ziemlich schnell ein.

     
    »Hallo Papa, hier sind wir!«, rief Judith und winkte aus einer Ecke gleich rechts neben dem Eingang vor einem großen Fenster. Der Gastraum der Pizzeria La Magnifica erinnerte Angermüller mit seiner Einrichtung an längst vergangene Zeiten: rohe Holztische, Stühle mit geflochtenen Bastsitzflächen, die Wände mit Rauputz verkleidet. Es fehlten eigentlich nur noch die Korbflaschen mit den Tropfkerzen auf den Tischen.
    »Guten Abend zusammen«, grüßte er die Runde. Wie zu erwarten, war Astrid über sein Zuspätkommen nicht erfreut. Auch wenn es wirklich nicht sein Verschulden war, tat es ihm leid, als er ihr enttäuschtes, müdes Gesicht sah.
    »Guten Abend, Georg«, sagte sie irgendwie resigniert und kühl zugleich. »Wir sind schon fast fertig mit dem Essen.«
    »Aber das ist nicht so schlimm, hier geht’s unheimlich schnell«, meinte Martin tröstend, der gegenüber von Astrid neben Julia saß und sich in diesem Laden auskannte. Wie reizend, dachte Angermüller, das groß angekündigte Abendessen im Familienkreis – und Martin ist dabei.
    »Es tut mir leid. Ich bin dienstlich aufgehalten worden«, sagte er freundlich zu seiner Frau.
    »Von deiner türkischen Nachbarin?«, kam es mit unerwarteter Schärfe zurück. Sie hat mich wahrscheinlich aus Deryas rotem Lieferwagen steigen sehen, dachte er und sagte: »Ja, aber das ist eine lange Geschichte. Vielleicht hast du heute Morgen ja auch die Bilder von den beiden toten türkischen Mädchen in der Zeitung gesehen …«
    »Welche toten türkischen Mädchen?«, fragten Julia und Judith mit großen Augen wie aus einem Munde.
    »Bitte, nicht vor den Kindern!«, wehrte Astrid energisch ab, als er zu einer Erklärung ansetzen wollte.
    »Entschuldigung, aber du hast mich danach gefragt.«
    Schweigen breitete sich über der Tafel aus. Angermüller hatte das Gefühl, wieder einmal durch eine Prüfung gefallen zu sein. Astrid hatte ihr Besteck abgelegt und blickte stumm auf ihre erst halb aufgegessene Pizza. Der Anblick seiner Frau stimmte ihn wehmütig. Sie bedeutete ihm unendlich viel. Aber diese kleine, zarte Person, die so hart mit sich selbst und anderen sein konnte, deren Streben nach höchster Perfektion im Leben etwas Gnadenloses hatte – sie war viel mehr die Tochter ihrer Mutter, als er je geglaubt hatte, und dieses Erbe war kein leichtes. Deutlich wie nie nahm er wahr, dass etwas geschehen war. Sie taten sich nicht mehr gut. Die Kinder kauten auf

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