Rosenwahn
in dem Moment das Telefon. Sie sah die Kommissare an, zuckte ohne Bedauern die Schultern und nahm das Gespräch entgegen. Offensichtlich sprach sie mit einer Frau, die zum ersten Mal anrief und Hilfe suchte. Ihre Verwandlung war erstaunlich. Sie war plötzlich die Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft in Person. Und sie nahm sich viel Zeit.
Nach dem Anruf wandte sie sich wieder ihren Besuchern zu. Da sie stumm blieb und ihnen nur einen gelangweilten Blick schenkte – gefragt hatte sie ja schon, wenn man es genau nahm –, stellte Angermüller seinen Kollegen und sich erst einmal vor.
»Ach nee, Bullen. Dit hab ick mir doch fast jedacht«, meinte sie und warf den beiden Männern abschätzende Blicke zu. »Und wat wolln Se? Geht’s mal wieder um Drogen, Prostitution, Terroristen, illegale Einwanderung? Ham wa hier allet nich. Bei uns jibts nur arme Frauen, die Probleme mit bekloppten Mackern haben.«
So wie sie das sagte, war klar, dass sie Angermüller und Jansen auch zu letzterer Spezies zählte. Der Kriminalhauptkommissar ging auf ihre Sprüche überhaupt nicht ein. »Wir sind hier wegen zwei Ihrer Klientinnen, Frau – wie war noch Ihr Name?«
»Ick bin die Elke, Elke Paulmann, wenn’s sein muss.«
»Und was haben Sie hier für eine Funktion?«
»Sozialarbeiterin nennt sich det so schön, wat ick mache. Beraten, Händchen halten, aufdringliche Männer rausschmeißen, Büroarbeit – wat eben so anfällt.«
»Gut, Frau Paulmann. Wir sind hier wegen Meral Durgut und Fatma Aksoy. Sie haben vielleicht davon gehört: Die beiden jungen Frauen, die vor ein paar Tagen tot aufgefunden wurden. Und nun haben wir einen Hinweis erhalten, dass beide in Ihrer Beratungsstelle gewesen sein sollen. Darüber würden wir uns gern etwas informieren.«
Elke Paulmann lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor ihrem ausladenden Busen. »Und, ham Se einen Durchsuchungsbeschluss?«, fragte sie gelangweilt.
»Frau Paulmann, Scherz beiseite«, antwortete Angermüller, mittlerweile etwas ungeduldig. »Wir wollen nicht Ihren Laden hier auseinandernehmen, wir suchen die Person oder die Personen, die den Mädchen das angetan haben. Frau Dr. Bartels, die bei Ihnen ehrenamtlich in der Beratung tätig ist, hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass die beiden hier gewesen sind.«
»Mensch, warum ham Se dit nich gleich jesacht?« Für ihren Umfang erhob sie sich ziemlich fix von ihrem Stuhl und eilte nach nebenan. Zu einer schwarzen Lederhose trug sie eine Art Kittel aus rotem Leinen, der einen schrägen Halsausschnitt und einen komisch gezackten Saum hatte. Mit einem Zettel und einem Umschlag in der Hand kam sie zurück. »Ick mach ja immer nur die Frühschicht hier und bin heute noch nicht dazu gekommen, alle Infos zu lesen, die die Kolleginnen mir gestern Abend hingelegt haben. Hier steht: Falls die Polizei sich meldet, bitte weitergeben. ›Daten Meral Durgut und Fatma Aksoy‹ steht auf dem Umschlag.« Sie reichte ihn an Angermüller weiter. »Ick nehme an, dann isset dit, wat Sie interessiert.«
»Ja, vielen Dank, das ist schon einmal sehr schön«, nickte Angermüller. »Was wir aber noch bräuchten, wäre eine Liste aller Ihrer Mitarbeiterinnen in den letzten vier Jahren.«
Der Blick von Frau Paulmann wurde wieder misstrauisch. So wie sie sprach und sich der Polizei gegenüber verhielt, war sich Angermüller fast sicher, dass sie in früheren Jahren der bunten Berliner Szene angehört haben musste, als Punkerin oder frauenbewegte Hausbesetzerin oder alles zusammen. Jedenfalls kam für sie das Ansinnen, Auskunft über ihre Kolleginnen geben zu sollen, einer Aufforderung zur Spitzeltätigkeit durch den Verfassungsschutz gleich. Angermüller brauchte eine Menge Argumente und Geduld, um sie von der Redlichkeit seines Anliegens zu überzeugen.
»Rufen Sie Frau Dr. Bartels an, wenn Sie kein gutes Gefühl dabei haben«, fiel ihm als letztes Argument ein. Das schien ihr dann wohl doch zu unselbständig.
»Na jut, ick mach dit mit der Liste. Aber dit kann ’ne Weile dauern.«
»Wir warten gern.«
Es dauerte keine Viertelstunde, dann druckte ihnen Elke Paulmann die Liste aus.
»Das ist jetzt wirklich die ganze Truppe, die hier dabei ist oder war. Unsere Leute sind ja fast alle ehrenamtlich und immer nur ein paar Stunden im Monat da. Deshalb sind das so viele Namen.« Wenn sie wollte, konnte sie also auch ohne ihren nervigen Berliner Dialekt auskommen, dachte Angermüller und warf einen kurzen Blick auf die Namen.
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