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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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immer noch da, wo er
eingeschlafen war.
    Er wusste, dass er hätte aufstehen sollen, konnte aber nicht. Am
liebsten hätte er immer so weitergeschlafen.

7 . Lee
    Sie machte ihrem Vater Mittagessen, ein Risotto und als Auftakt
Mozzarella und Tomaten, mit französischem Brot, das sie in Monessen in der Keystone -Bäckerei gekauft hatte. Zu Hause hatte sie nur
selten Zeit zu kochen, Simon ging eh lieber essen. Was in Ordnung war. Und noch
ein Grund, gern heimzufahren. Dann saßen sie schweigend am Esszimmertisch und
tranken Kaffee, Henry las die Zeitung, während sie dasaß, Kinn aufgestützt, und
auf den langen, abschüssigen Rasen starrte, auf die flachen Backsteinmauern
rund um das Gelände. Diese Mauern waren rein dekorativ, was heutzutage einen
unglaublichen Luxus darstellte, genug Material, um noch ein großes Haus zu
bauen. Und wie alles andere bröckelten auch sie.
    Ihr Vater kämpfte sich durch die Lektüre seiner Post-Gazette ,
die Sonne stand auf allen Fenstern, Lee ließ die Gedanken schweifen und
beschloss, die Einstellungsgespräche mit den Pflegeschwestern abzusagen. Hatte
Poe das Ganze doch erfunden? Das Warum war naheliegend. Es wäre so leicht
gewesen, das zu glauben. Doch sie war sich sicher, dass er ihr die Wahrheit
gesagt hatte. Woher sie das nahm, war ihr nicht klar, aber sie wusste es.
    Poes Foto war auf Seite Eins des Valley
Independent abgedruckt gewesen, unter der Schlagzeile: Footballstar in Mordfall festgenommen . Diese Zeitung
hatte sie versteckt, bevor ihr Vater einen Blick drauf werfen konnte. Es war
auch egal. Denn gestern Abend kam der Chief und fragte sie nach Isaac. Ein
dünner, kahlköpfiger, angenehm wirkender Mann, und offensichtlich aufmerksam.
Sie hatte ihn spontan gemocht und wollte wissen, was er dachte, doch er wollte
nur mit ihremVater sprechen. Aus Respekt, das war ihr schon klar, aber trotzdem.
Und das Wichtigste bekam sie mit – dass Poe wegen des Mordes an dem Mann in der
Maschinenhalle unter Anklage stand und dass Isaac wahrscheinlich zu den Zeugen
zählte, aber vorerst nicht verdächtig war.
    Ihr Vater sah verhärmt aus heute Vormittag. Er baute ab. Tatsächlich
ging es ihm, seit sie da war, eher schlechter. Wie lange? Sie zählte: Samstag
angekommen, heute Donnerstag, sechs Tage. Fühlte sich viel länger an. Ihr Vater
hatte sich schon zwei Tage nicht mehr rasiert, sein weißes Haar lag ganz
verfilzt und plattgedrückt auf seiner Kopfhaut, auf den Schultern alles voller
Schuppen. Wie ein schwerer Trinker sah er aus – die Wangen und die Nase
marmoriert von den geplatzten Äderchen –, wo er das Zeug kaum anrührte. Die
Augen trübe. Für ihn lief der Countdown jetzt.
    Sie aßen in dem Esszimmer mit seinen alten Nussbaummöbeln, dem
antik-chinesischen Büfett und Schrank und den Tapeten mit den Wasserflecken an
den Fenstern. Dieser große Raum mit seiner hohen Decke und seinem
Kristalllüster. Sie überlegte, vielleicht hatte ja ihr Vater dieses Haus für
ihre Mutter angeschafft, nur um sie zu beeindrucken. Tja, schwer zu sagen.
    Über den Besuch des Polizeibeamten hatten sie noch immer nicht
gesprochen. Ihr Bedürfnis, jedem Konflikt aus dem Weg zu gehen, war schon
außergewöhnlich. Aber jetzt musste es besprochen werden. Sie stand auf. Zuerst
mal spülen.
    »Bist du fertig?«, fragte sie ihn.
    »Hab noch ein paar Jahre.«
    Sie lächelte zwar, ließ sich aber nicht zum Lachen hinreißen. Seinen
Teller nahm sie in die Küche mit und ließ das Wasser laufen, bis es dampfend
heiß war, suchte sich die Gummihandschuhe und fing an mit dem Abschrubben der
Teller. Als sie fertig war, wischte sie Herd und Arbeitsplatte ab, obwohl sie
gar nicht schmutzig waren, denn sie hatte sie am selben Morgen schon geputzt.
Natürlich hatten sie in ihrer Wohnung in NewHaven eine Spülmaschine,
außerdem einmal die Woche eine Haushaltshilfe, erst hatte sie protestiert, doch
Simon hatte sie gemustert, als ob sie verrückt wäre. Normale Leute hatten Haushaltshilfen.
    Da befiel sie ein Gefühl der Einsamkeit, das war nicht ihr Zuhause
hier, und dort bei Simon auch nicht, sie stand da und ließ das heiße Wasser
über ihre Hände laufen, und dann dachte sie: Nein, das verdienst du nicht, dich
zu bemitleiden. Du musst da reingehen, red mit ihm.
    Stattdessen suchte sie sich noch etwas zum Putzen. Sie konnte die
hintere Veranda fegen. Es war ein Uhr nachmittags, der Hirsch war aus dem Wald
gekommen und äste im Garten zwischen alten Apfelbäumen. Die Veranda war
verdreckt, und auf der Couch

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