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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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unwahrscheinlich, Isaac wusste es, doch es hatte keinen
Zweck, etwas zu sagen. »Du, Chief Harris lässt dir ausrichten, wir sollen hier
das Telefon benutzen«, sagte er.
    »Was immer Mr. Harris will.« Sie stellte ihm den Apparat hin und sah
zu, wie Isaac bei seiner Schwester anrief.
    Poe sagte: »Ich nehm ein Iron-City-Bier, bis unser Wagen da ist.«
    »Und bestimmt hast du den Ausweis heut zu Haus vergessen?«
    »Ich bin einundzwanzig.«
    »Da verwechselst du uns mit ’nem andern Laden.«
    »Komm, ich kenn dich doch vom Billardspielen in Dave Watsons Keller.
Ich bin Billy Poe. Ich war zwei Jahre unter dir.«
    »Ich sage ja, ich kenn dich nicht.«
    Sie goss ihnen zwei Cherry-Cola ein. Poe nahm aus seinem Glas die
Kirsche, warf sie auf den Boden. Amüsiert beobachteten ihn die anderen Leute in
der Bar. Die meisten waren ältere Männer in Gewerkschafts- oder Jägerjacken,
die Gesichter angeschwollen von der Arbeit allzu nah am Hochofen, der Arbeit
draußen oder von der Arbeitslosigkeit. Jetzt nahmen einige ihre Gespräche
wieder auf, ein paar hatten nichts Besseres zu tun, als Poe und Isaac zu
mustern.
    Isaac sah einen von den Freunden seines Vaters aus dem Stahlwerk,
der allein saß, D. P. Whitehouse, früher kam er manchmal zu Footballspielen, am
Montagabend, und nahm Dad zur Vogeljagd mit, nach dem Unfall und nachdem Dad
aus Indiana wieder hergezogen war. Doch das war lange her – D. P. war jahrelang
nicht mehr vorbeigekommen. Jetzt erkannte er ihn nicht oder wollte es nicht.
    »Wir warten vielleicht besser draußen«, sagte Isaac.
    »Was du nicht sagst. Zumindest irgendwo, wo sie uns ein Scheißbier
verkaufen.« Billy warf der Barkeeperin einen feindseligen Blick zu, doch sie
ignorierte ihn.
    Es wimmelte von Leuten draußen, deshalb gingen sie in eine Seitengasse,
um auf Lee zu warten. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten,
erblickten sie zwei Männer, die in einem dunklen Pick-up saßen, wartend. Als
der Fahrer ihnen Zeichen gab, sie sollten aus der Gasse raus, begaben sie sich
wieder auf die Straße, wo sie schließlich linkisch rumstanden.
    »Waren das Bullen?«, fragte Isaac.
    »Fuck, nein. Jetzt kein Verfolgungswahn.«
    »Chief Harris weiß Bescheid. Ganz abgesehen davon, dass nicht du
derjenige bist, der in der Scheiße steckt.«
    »Ach komm«, sagte Poe.
    »Du hast recht, ist keine große Sache eigentlich.«
    »Wenn der das wüsste, würden wir in diesem Augenblick mit einem
Gummischlauch verprügelt. Harris hält uns für zwei harmlose Jungs, weiter
nichts, und außerdem, die haben letzte Woche diese tote Frau entdeckt, in einem
Müllcontainer – die haben jetzt andere Sorgen.«
    Sie beobachteten Autos, die die Straße langsam hochfuhren und kurz
darauf zurückkamen.
    »Die Jacke hat er garantiert gefunden«, sagte Isaac. »Und abgesehen
davon hat er, wenn er richtige Ermittlungen macht, unsere Fingerabdrücke,
Schuhabdrücke und dein Blut, das überall am Tatort ist.«
    »Du hängst zu oft vorm Fernseher«, sagte Poe.
    »Weiß nicht, ob du auch gesehen hast, wie aufgewühlt der Boden war,
das kam doch nicht allein von seinem Truck.«
    »Ja, Herr MacGyver.«
    »Wieso bist du so?«
    »Einige Penner hat der Chief bestimmt schon selbst aus dem Verkehr
gezogen, und soweit wir wissen, könnte er auch diesmal damit prahlen. Außerdem
hat höchstwahrscheinlich einer von den anderen meine Jacke mitgenommen, warm waren
die nicht gerade angezogen.«
    »Ach, die Zeugen meinst du jetzt.«
    »Die beiden anderen Penner.«
    »Ja, der Ältere, der aus der Gegend kommt und dich bereits erkannt
hat.«
    »Denk dich ruhig zu Tode, Isaac.«
    Ein paar Minuten drauf kam Lees Mercedes langsam durch die Straße.
Parkplatzsuche. Sie beobachteten, wie sie anhielt und den Wagen schnell in eine
kleine Lücke manövrierte.
    »Kann von Glück sagen, wenn keiner diese Wanne mit dem Schlüssel
aufkratzt«, sagte Isaac.
    »Ach, wird schon nicht.«
    Sie gingen auf das Auto zu und warteten. Isaac sagte, als sie ausstieg:
»Du bist spät dran.«
    »Tut mir leid«, sagte sie und lächelte schuldbewusst. »Ich musste
mich erst fertigmachen.«
    Sie hatte sich aufgetakelt – langer maßgeschneiderter Rock, weiße
Bluse, tiefer Ausschnitt, als sie Isaac umarmte, roch er das Parfüm an ihrem
Hals. Sie sah nicht aus wie eine aus dem Tal. Sie trug Make-up, wie Isaac
bemerkte – das war untypisch für sie. Dann sah er, wie sie Poe umarmte, leicht
an seine Taille fasste. Eine Welle der Verwirrung überschwemmte ihn, er

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