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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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ziemlich klein,
ein paar der dunklen Haare quollen aus dem Pferdeschwanz, sie sah, er wusste es
nicht recht, sie sah so aus, als käme sie von weither, Spanien, sie sah aus wie
eine Frau in einer Bar in Spanien, eine Frau im Kino. Fast wär er ihr
nachgegangen, doch dann zwang er sich zum Stehenbleiben. Lehnte an der Wand,
die Hände in den Taschen, holte sie heraus, verschränkte seine Arme, hielt
schließlich dieHände hinterm Rücken. Lee strich sich die Haare hinters Ohr,
wandte sich um und lächelte ihn an. Er lächelte zurück, sie tauschten einen
langen Blick quer durch den Raum. Ihm war, als könnte er nur atmen, atmen und
nie genug Luft kriegen. Es kribbelte am Hals, er wünschte, das Gefühl würde für
immer bleiben, und dann gab es ein großes Hallo, der Bräutigam und seine Braut
kamen die Treppe runter, von einem geheimen Ort, das Brautkleid saß nicht mehr
ganz ordentlich, ein Jubelschrei stieg auf, die Braut senkte den Blick, der
Bräutigam hob eine Hand hoch in die Luft, als wäre er ein General, na, große
Sache, dachte Poe, wir wissen alle, dass du sie gefickt hast. Aber als er Lee
anschaute, wurde ihm ganz schlecht – sie war ja selber kürzlich Braut gewesen.
Ihm war übel, richtig übel, kurz stieg irgendwas vom Magen hoch, er klaute
jemand schnell einen Schluck Bier aus dem halbleeren Glas, das einfach so
herumstand, er musste das schnell wieder wegdrücken. Guck dich bloß mal an,
dachte er, hast du sie noch alle, solltest gar nicht hier sein mit ihr. Sie war
abgedrängt worden unter die Tanzenden und fing jetzt seinen Blick auf, winkte
ihm zu, dass er kommen sollte, auch tanzen, doch er war unsicher, er wusste
nicht, was tun, und stand bloß da. Sie wollte ja nur nett sein.
    Isaac in seiner Ecke hatte immer noch die Arme vor der Brust verschränkt.
Poe ging zu ihm und schlug ihm auf die Schulter. »Komm, entspann dich«, sagte
er, doch selbst in seinen eigenen Ohren klang er krampfig und unausgeglichen,
Isaac wollte ihn nicht mal anschauen. »Willst du ein Bier?« Isaac wollte ihn
noch immer nicht anschauen. Poe drehte sich wieder zu Lee um. Sie tanzte.
Tanzte mit so einem dicken älteren Mann in seinem schlabberigen Kirchenanzug,
das Gesicht war schweißüberströmt, es war Frankie Nortons Vater, Frankie war noch
immer weit weg an der Lehigh University. Als nächstes tanzte sie mit einem
Typen voller Sommersprossen, höchstens fünfzehn, wie der aussah, dann mit einem
Kerl in blauem Marine-Corps-Aufzug, der ein bisschen cooler wirkte. Lee und der
Marine machtennoch weiter, es schien ziemlich lang zu gehen, er drehte sie
gemächlich hin und her. Poe hasste dieses Lied, es war Faith Hill, New Country
hasste er. Jetzt wollte der Marine aus Spaß Lee seinen weißen Hut aufsetzen.
Frankie Nortons Vater kam zurück und brachte ihr zwei Bier, Lee hörte auf zu
tanzen und drängelte sich zurück zu Poe. Er sah, wie der Marine ihn quer durch
den Raum musterte und sich dann abwandte, und sah, dass er an einer Stelle am
Hinterkopf kahl war, Operationsnarbe. Da hatten sie an seinem Kopf rumgemacht.
Nach der Schule hatten viele Leute sich freiwillig gemeldet, allein im letzten
Monat waren drei Soldaten aus dem Tal gefallen, so auch eine Frau, mit der er
mal etwas gehabt hatte, sie war ein bisschen komisch, alle hielten sie für eine
Lesbe. Mit ihr rumgemacht hatte er ein paar Mal, nur für sie eingetreten war er
nicht. Sie fuhr gerade einen Truck, als sie eine USBV traf, eine Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung, diese Dinger wurden
drüben allen zum Verhängnis. Dabei hatte sie sich nur als Reservistin
freiwillig gemeldet. Hoffentlich waren die Araber, die das getan hatten, jetzt
tot, von irgendeinem Hinterwäldler-Heckenschützen in den Bauch geschossen, der
mit einer Jagdflinte in der Hand aufgewachsen war, und hoffentlich hatten die
sich in Sicherheit gefühlt, als dieser Heckenschütze schon die
Seitenverstellung berechnete, und peng – dann mussten sie die Eingeweide
festhalten. Gott, dachte er, was ist denn los, du warst doch eben noch so glücklich.
    Lee gab ihm sein Bier und sagte: »Dafür wollten die mich gar nichts
zahlen lassen.«
    »Das hast du von der Behindertenrente von irgendwem gekriegt«,
erklärte Isaac. »Oder von der Sozialhilfe.«
    Lee hatte plötzlich so einen Gesichtsausdruck. Poe hätte Isaac am
liebsten durch das Fenster rausgeschmissen. Sie machte den Mund auf, um etwas
zu sagen, aber da stand plötzlich der Marine neben ihr. Er sah nicht älter aus
als zwanzig,

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