Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
dunklen Straße, dachte,
woher willst du wissen, was du dir genau gedacht hast. Wie rein die
Entscheidung war. Und was dir durch den Kopf ging, ohne dass du es gemerkt
hast, kannst ja kaum die Oberfläche deines Geistes sehen, und darunter laufen
ständig tiefer liegende Schichten mit. Ich will schlafen, dachte er. Das wirst
du aber nicht. Der große Otto schläft die ganze Zeit. Was hat dich nur dazu
gebracht, die Kugel nach ihm zu werfen? Isaac wusste es nicht mehr. Wusste
nicht mehr, was ihm durch den Kopf gegangen war, ob überhaupt etwas. Das werden
die als ersten Grades werten – du hast dieses Stück Metall nicht grundlos
aufgehoben und mit reingenommen. Vorsatz. Todesspritze. Soll ja angeblich nicht
weh tun, aber das bezweifelte er. Wenn du weißt, was die für dich bedeutet,
wird dir diese Spritze weh tun.
    Er legte die Finger an die Schläfen. Du behältst das jetzt für dich,
dachte er. Musst dich überzeugen, dass du’s nicht getanhast. Bloß dass das
vollkommen hoffnungslos ist. Diese Art Mensch bin ich einfach nicht.
    Poe stupste ihn, Isaac schlug die Augen auf. Er sah, sie fuhren an
der neuen Polizeistation vorbei und weiter Richtung Stadtzentrum. Er reckte
leicht den Kopf, als die Station im Dunkeln hinter ihnen blieb. Sie kamen an Frank’s Auto-Supermarkt vorbei, der neuen Wirbelsäulen-Reha-Praxis,
dem Dialysezentrum des Mon-Tals, an Schmerzbehandlung und
Wellness im Tal und Rothco Medizinischer Bedarf .
Dann ein Friseursalon, der ZU VERMIETEN war, und ein Tattoo-Laden mit
schmuddeligem Schaufenster, wo früher mal Modelleisenbahnen verkauft wurden. Black’s Waffen und Outdoor , dann
das geschlossene Montgomery -Kaufhaus und die
geschlossene Apotheke, der geschlossene Dinierklub, der geschlossene
McDonald’s, der Slowakenverein und die Halle der Freimaurer.
    Noch mehr Läden, Fenster voll verbrettert, wenn er sich erinnern
wollte, was da früher war, müsste er lange nachdenken. Die Steingebäude mit den
detaillierten Kranzgesimsen, den verzierten Eisenfenstern, alle dichtgemacht
mit Sperrholz und die Wände zugepflastert mit Plakaten für die Lotterie. Da
standen ungewöhnlich viele Leute auf den Bürgersteigen; es war Samstagabend.
    »Na, wenn das Sozialamt wüsste, wo sein Geld hingeht«, bemerkte
Harris. Vor der ersten Bar hielt er den Wagen an; gleich machten sich ein paar
Leute davon.
    »Ich lass euch zwei die Wahl – ihr fahrt mit mir nach Hause, oder
ihr steigt aus und kümmert euch alleine drum, wie ihr hier wegkommt.«
    Isaac war sich nicht sicher, aber Poe war schnell: »Wir rufen an.«
    »Na fein.« Er zuckte mit den Achseln. »Dann steigt aus. Und sagt
Bescheid da drin, dass ich gesagt habe, die sollen euch das Telefon benutzen
lassen.«
    »Von hier schaffen wir’s zu Fuß nach Hause«, sagte Poe.
    »Besorgt euch eine Taxe«, sagte Harris. »Macht den Anruf. Und
dass ich euch hier nicht nachher noch erwische.«
    Beide nickten.
    »Übrigens«, sagte er noch. »Woher hast du den Schnitt am Hals?«
    »Was meinst du?«
    »Keine Spielchen, Billy.«
    »Bin in Stacheldraht gefallen.«
    Harris schüttelte den Kopf. »O Billy«, sagte er, »o Billy.« Drehte
sich ganz auf dem Sitz herum. »Mach nur so weiter, das geht nicht gut aus für
dich. Hast du verstanden?«
    »Ja, Sir.«
    »Du auch«, sagte er zu Isaac. »Ihr beiden bleibt die nächsten Tage
drinnen. Und zwar so, dass ich euch finde, klar?«
    Sie gingen in die Bar. Die Wände waren Holzpaneele, überall mit
eingeritzten Initialen, die Beleuchtung war nur trübe und der ganze Laden
größer, als er hätte sein müssen; das einzige Licht war die Neonwerbung für
Biermarken. Auf zwei Bildschirmen lief die Keno -Lotterie
und auf dem dritten Stock-Car-Rennen, eine Wiederholung. Und der Fahrstuhl, in
dem Vorraum, war mit Sperrholz zugenagelt.
    »Alles alte Säcke«, murmelte Isaac.
    »Ist dir Howie’s lieber, wo uns jeder
sehen kann?«
    »Wir sollten überhaupt nicht draußen unterwegs sein.«
    »Dann erklär du meiner Mutter mal, wieso mich Harris heimfährt.«
    »Das ist die geringste unserer beschissenen Sorgen«, sagte Isaac.
    Die Barkeeperin näherte sich ihnen langsam, rauchte ihre Zigarette,
junges, hübsches Ding, Isaac kannte sie noch von der Schule, ein paar Jahre
über ihnen.
    Schließlich sagte sie: »Ihr braucht nicht eure Zeit verschwenden,
ich hab grad gesehen, wie ihr beide aus dem Streifenwagen ausgestiegen seid.«
    »Emily Simmons«, sagte Poe. »Erinnere mich.«
    »Ich nicht«, erwiderte sie.
    Das war

Weitere Kostenlose Bücher