Rost
Laden,
kriegte aber jedes Mal nur seine Mailbox dran. Sie arbeitete schneller als gewöhnlich,
zwang sich zur Konzentration; jetzt bloß nicht die Gedanken schweifen lassen.
Steiner kam einmal an ihrer Bank vorbei, er sah, wie sie vorankam, lächelte sie
an. Sie nickte streng zurück und hielt den Kopf gesenkt. Ihr Billy hatte
jemanden getötet. Das war sonnenklar – wie er am Freitag heimgekommen war, dass
Harris ihn jetzt zum Verhör verhaftet hatte und ihn über Nacht festhielt. Sie
hatte kaum geschlafen. Harris hatte wohl beschlossen, ihre Anrufe nicht anzunehmen.
Vom Büro aus konnte sie es noch einmal versuchen, diese Nummer kannte er nicht,
aber da bestand auch die Gefahr, dass jemand mithörte. Sie würde warten müssen,
bis sie heimkam.
Etwas später spürte sie eine Berührung an der Schulter – Steiner
wieder.
»Feierabend«, sagte er. »Sie sehen aus, als wären Sie in einer anderen
Welt.«
Er schien besorgt zu sein, aber sie konnte sich nicht überwinden und
ihn anschauen. Er war halt Steiner. Und man weiß ja nie. Dass er mit Barb und
Lindsay Werner mal geschlafen hatte, wusste sie. Aber wenn er ihr vielleicht
Geld für einen Anwalt leihen könnte, Billy retten – logisch würde sie. Denn
zwischen ihrem Sohn und ihrer Würde gab es keinen Wettbewerb. Es ging ihr
plötzlich auf, was für ein Luxus es war, dass sie so etwas nicht tun musste.
»Alles in Ordnung«, sagte sie. »Bemüh mich nur drum, dass wir
aufholen.« Und lächelte ihn an.
Er lächelte zurück und drückte ihre Schulter, plötzlich fühlte
sie sich unwohl, ekelte sich vor sich selbst.
»Bis morgen«, sagte sie.
Und während sie zusammenpackte, mit dem Lastenaufzug runterfuhr, den
Hügel raufging, wo ihr Auto stand, wurde ihr übel. War doch ganz unmöglich,
dass ihr Billy das getan hatte. Falls doch – dann musste sie sich halt
zusammennehmen und den Kopf hochhalten. Wenn du einmal deine Würde aufgegeben
hast, dann war’s das. Würde ist gleich Leben.
Auf der Heimfahrt klingelte ihr Handy, es war Harris.
»Hab ihn gerade gehen lassen«, sagte er.
»Das hat nichts mit der Sache aus dem letzten Jahr zu tun, oder?«
»Ach, Grace.«
»Kommst du rüber?«
»Weiß nicht, ob das gut wär.«
»Wir sind ungestört.«
»Grace«, sagte er. »Grace Grace Grace.«
»So hatte ich das nicht gemeint.«
»Okay«, sagte er.
Sie fuhr schnell, sie wollte frisch geduscht sein, wenn er ankam.
Vielleicht hatte sie es doch so gemeint. Bloß dass es nicht ging – es wäre
etwas Schmutziges. Sie merkte, wie die Tränen kamen, blinzelte, um wieder klar
zu sehen. Komm schon, nichts ist fair. Jetzt keinen Absturz. Immer schön an die
Belohnung denken.
***
Keine halbe Stunde später war sie da, aber kein Billy. Sie
entkleidete sich und versuchte, ihren Duschhahn in die Stellung zu bekommen, wo
das Wasser weder brühheiß war noch kalt. Zwei Jahre Arbeit in dem
Eisenwarenladen, aber Billy hatte nicht gelernt, das Ding zu reparieren, oder
es war ihm egal. Jetzt ärgere dich nicht über ihn, dachte sie. Aber sie tat’s
doch. Konnte nichtanders. Seines Vaters Sohn, dachte sie. Deine alten
Fehler schlagen wieder durch. Dir war doch immer klar gewesen, dass es mal so
kommen würde.
Zügig seifte sie sich ein und spülte alles wieder ab. Ihr Leben war
ihr etwas wert, die vielen kleinen Dinge. Sie bemühte sich, anderen zu helfen.
Das war alles, was man tun musste – und Gott war dafür da, sich um den Rest zu
kümmern. Alles hatte danach ausgesehen, als könnte es funktionieren, Billy
drauf und dran, ein neues Leben anzufangen, auf der Uni, das sich nicht so
leicht so schlimm verkorksen ließ, doch dann hatte er sich entschieden
hierzubleiben. Und das hieß, dass er vielleicht nie drauf und dran gewesen war.
Trotzdem ergab das keinen Sinn für sie, er liebte Football und bekam die
Chance, weiterzuspielen. Aus ihm wäre nie ein Star geworden, dachte sie. Er
wusste, dass er keiner von den Großen war. Es musste komplizierter sein. Der
Sport hatte ihm eine Richtung geben können wie nichts anderes, er brachte ihn
dazu, sich selbst zu hinterfragen und zu fordern, aber kaum war seine
Highschool-Zeit vorbei, genügte ihm das Leben wieder, das er seit der Kindheit
kannte. Er gab sich zufrieden mit den Dingen und zufrieden damit, dass für ihn gesorgt
wurde. Mit zwanzig genau wie mit dreizehn. Vielleicht hatte sie das immer schon
gewusst.
Als Kleinkind war er schon zu kühn gewesen, sie bemerkte schnell den
Unterschied zu all den anderen Kindern, als
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