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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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jemanden rufen. »Ist das
Brian Foote?«
    Isaac winkte noch mal und ging weiter.
    Zwei Blocks später, schon am Stadtrand, hörte er, wie auf der Straße
eine Bierflasche zerschellte, und drehte sich um, da folgte ihm ein Pulk
Gestalten, ihre Umrisse vorm Licht erkennbar. Sie waren zu viert. Statt
abzuwarten, was passierte, rannte er sofort los, presste seinen Rucksack an
sich, achtete nicht auf den Knöchel und die Prellungen am Oberschenkel und den
scharfen Schmerz in seinen Rippen, hinter ihm schrien die Leute irgendwas, die
Beine taten weh bei jedem Schritt, der Rucksackklatschte gegen seinen
Rücken, aber er verlangsamte den Lauf nicht.
    Als die Straße eine Biegung machte, sprang er in den Wald und
wartete im Dunkeln, um zu sehen, ob sie ihn verfolgten. Keiner kam. Viele
Erklärungen – sie hielten dich für jemanden, der ihre Party schwänzte. Oder
wollten dir noch einen Nachschlag zu der gestrigen Behandlung geben. Trotzdem …
Er entspannte sich. Banditen machen auf den Kleinen Jagd, und er hält stand –
sogar ohne Verletzung diesmal. Da er aber weiß, dass er der interessanteste
Teil ihres Abends ist, befürchtet er, dass sie gleich mit dem Auto kommen werden.
Da war ein Entwässerungskanal, der von dem Fluss wegführte, aufwärts an der
Talseite entlang, dem folgte er. Das Wasser rauschte ziemlich kräftig, und er
brauchte viel Zeit, um im Dunkeln keine nassen Füße zu bekommen. Zwischen
steilen Hügeln wand sich der Kanal bergan, bald hatte er die Orientierung
verloren, er wurde panisch und beruhigte sich wieder. Guck dir das am Morgen
an. Sobald die Sonne aufgeht, wirst du’s sehen. Kurz darauf trat er auf eine
große Lichtung, wo das Gras vor kurzem erst gemäht worden war. Keine Lichter,
keine Häuser weit und breit. Es war sehr weich, er legte sich am Rand der Wiese
nieder, unter ein paar überhängende Äste, um den Tau abzufangen.
    In den Schlafsack eingewickelt, schloss er bald die Augen und sah
Nachbilder, wovon, das wusste er nicht. Es sah aus wie Menschen unterwegs. Dann
hatte er die Straße vor sich, auf der er am Morgen noch gelaufen war, die
Menschen. Schlug die Augen wieder auf. Sein Kopf war kühl, ansonsten war ihm
warm. Die Nacht war kalt und klar. Er sah den Schweden wieder vor sich, dort
beim Ofen, das Gesicht jetzt halb im Schatten. Das ist ganz normal, dachte er.
Aus dem Schlafsack griff er nach dem weichen Gras, es fühlte sich kühl, feucht
und weich an. Er betrachtete die Sterne und versuchte, Otto zu vergessen.
    Hast gewusst, dass du da nicht so lange bleiben solltest. Hast gewusst,
dass es zu etwas Schlimmem führen würde. Hast dirselbst gesagt, dass du den
rechten Augenblick abwartest, doch du hast’s gewusst. Ich wusste nicht wohin.
Wie Lee – die hat sich selber einen Ort geschaffen. Mr. Painter bietet an, dich
seinem Vater vorzustellen, der Professor in Cornell ist. Ziemlich sichere
Sache, hat er dir gesagt.
    Ich war noch nicht bereit, hier wegzugehen, dachte er. Bei Lee war
das was anderes – es fällt den Leuten leicht, sie gernzuhaben. Ihre Mutter
stirbt, und sie verlässt den Ort, die Narbe ist wie ausradiert. Behauptet, dass
sie an zu Hause nur so denkt, »wie es mal war«. Dass du nicht diesen Luxus
hattest, ist ihr niemals aufgefallen. Als dein vorletztes Schuljahr begann, da
warst du auf einmal allein im Haus, mit deinem Alten. Während Simon und seine
Familie um Lee herumsprangen. Das zarte Gänseblümchen. Absolute Ruhe, wenn sie
lernen musste, und Trara um ihre Zeugnisse. Doch wenn du deine für ihn rumliegen
lässt, sagt er keinen Ton.
    Wenn er an deiner Stelle wäre, hätte er dich schon ins Heim gesteckt.
Hast ihn ja mal gefragt, was wäre, wenn du so wie er verletzt würdest. Kam
keine Antwort. Aber du bist dageblieben. Denn so bin ich nicht, nicht mal zu
einem solchen Menschen. Nein, das ist es nicht, dachte er, nicht nur das. Du
wolltest seine Zustimmung. Du wolltest, dass er zugibt, dich zu brauchen. Nein,
ich bin geblieben, weil es falsch gewesen wäre, ihn allein zu lassen. Dabei
bist du doch gegangen. Nach fünf Jahren, dachte er. Das war keine
Vernunftentscheidung. Sie ergab gar keinen Sinn.
    Er schloss die Augen. Ich komm gut zurecht, dachte er. Besser als
noch gestern. Morgen wird es besser sein als heute. Es war dunkel, es war
friedlich, und nachdem er eine Weile zu den Sternen hochgestarrt hatte, fand er
die, die er kannte, und fiel schnell in einen unruhigen Schlaf.

7 . Grace
    An dem Tag rief sie Harris vier Mal an, aus Steiners

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