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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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schon.«
    Doch er schien sie nicht zu hören. Nach ein paar Sekunden meinte er:
»Manchmal weiß ich nicht, warum ich überhaupt was für dich tue.«
    »Tut mir leid.«
    »Du hast ja keine Ahnung.«
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Dabei will ich gar nicht schwierig
sein.«
    »Vor sechs, nein, sieben Jahren, weißt du, kurz nachdem Virgil und
du euch wieder mal getrennt hattet, zum x-ten Mal, da hab ich ihn erwischt, wie
er mit Billy auf dem Beifahrersitz eine rote Ampel überfuhr, und hinten drauf
hatte er zwei riesige Spulen Kupferdraht, die er auf einer Baustelle geklaut
hatte. Noch nicht mal unter einer Plane oder so, die lagen offen da, die zwei
Vierhundert-Pfund-Spulen. Das war, als drüben in Monessen dieser Industriepark
hochgezogen wurde.« Kopfschütteln. »Macht sich nicht mal die Mühe, eine blöde
Plane draufzulegen. Kannst dir vorstellen, in was für eine Lage mich das
brachte.«
    »Bud«, sagte sie leise.
    »Wetten, Virgil hat dir nie davon erzählt, stimmt’s? Und natürlich
wär’s im Nachhinein wohl besser für Billy gewesen,wenn ich seinen Vater
gleich vor seiner Nase eingebuchtet hätte.«
    »Ja, ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht.«
    »Damals hab ich rumtelefoniert, um dir woanders einen Job zu suchen.«
Er betrachtete sie. »Dieses Angebot aus Philadelphia. Ich hab mich da sehr
reingehängt, um dir und Billy eine Chance zu ermöglichen, und du? Du schmeißt
mir alles vor die Füße.«
    »Das habe ich nicht getan.«
    Er war kurz davor, noch etwas zu sagen, und sie stand da, wappnete
sich. Doch stattdessen startete er seinen Truck. »Tja«, meinte er. »Das reicht
für heute, würd ich sagen.« Sie stieg auf das Trittbrett, griff durchs Fenster
und legte den Arm auf seinen.
    »Das habe ich nicht gewollt«, sagte sie. »Deshalb wollte ich nicht,
dass du herkommst.«
    »Virgil ist zurück, das weiß ich.« Er schien auf dem Sitz erstarrt
zu sein, den Blick stur geradeaus gerichtet.
    »Er ist aus dem Spiel. Es hat nicht einmal einen Tag gehalten, er
ist weg. Es ist vorbei, endgültig.«
    Harris schwieg.
    »Ich möchte gern zurück zu dem, wie’s zwischen uns mal war.«
    »Nicht machbar«, sagte Harris.
    »Oder wir versuchen, wieder Freunde zu sein, und sonst nichts.«
    »Grace.«
    »Ich weiß, wie das aussieht. Mir egal.«
    »Du hast vollkommen recht, von wegen, wie das aussieht.«
    »Bud, ich ruf dich an.«
    Er schüttelte den Kopf, schob ihre Hand vom Arm, dann stieg sie von
dem Trittbrett ab. Er wendete den Truck, und sie schaute ihm nach, wie er die
Straße langsam runterrollte und verschwand.

8 . Poe
    Es war schon hell am nächsten Morgen, als Lee ihn am Trailer
seiner Mutter absetzte, sie sagten zwar Auf Wiedersehen, doch fühlte er sich
abgelenkt, schnell ging er auf sein Zimmer und zog seine Arbeitsstiefel an.
Danach lief er zur Wiese runter, mit den Turnschuhen, die er in jener Nacht
getragen hatte, als der Schwede starb, dem Schuhkarton, einem Benzinkanister.
Die getränkten Schuhe zündete er an. Vielleicht lag irgendwo noch eine Quittung
über diesen Kauf, das war allerdings unwahrscheinlich, so was hob er nie auf.
Nicht dass das noch irgendeinen Unterschied machte, wenn sie mit einem
Augenzeugen kamen. War das jetzt Jesús oder der andere? Es hatte keinen Sinn,
darüber nachzudenken, er würde es früh genug erfahren.
    Er stand auf der grünen Wiese, hüfthoch wuchs die Goldrute, und er
betrachtete die Welt. Die einstürzende graue Scheune, weit weg auf dem fernen
Hügel, ein paar Mal hatte er einen alten Mann hineingehen sehen, ihn sogar mal
durch ein Fernglas beobachtet, doch nie rausgefunden, wer er war.
Wahrscheinlich würde er schon tot sein, bis Poe aus dem Knast zurückkam, diesen
alten Mann würde er nie mehr wiedersehen. Auch wenn er ihn gar nicht kannte,
fühlte sich das an wie ein Verlust in seinem Leben. Auch die Scheune in der
Ferne oder diese Hügellandschaft würde er nie wiedersehen, denn wenn er für
länger wegmusste, dann würde seine Mutter ihren Trailer garantiert verkaufen
und woanders hinziehen. Die Dinge änderten sich, hier vor seinen Augen, und was
ihn betraf, würde all dies nicht länger existieren. So hatte er bislang nicht
darüber nachgedacht. Wenn er das volle Strafmaß kriegte, war er, wenn er
rauskam, älter als Grace jetzt, in fünfundzwanzig Jahren konnte alles Möglichepassieren, die Besiedelung des Mondes und die Blüte seines Lebens. Nur der
Bodensatz, der übrig blieb, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er
zugeben, nach dem,

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