Rot und Schwarz
gemütlich zuschaut, wie ihm Leute wie Caylus, Luz und Croisenois vorgezogen werden, noch dazu, wo er selber gesteht, daß sie ihm weit überlegen sind. Nein! Ich werde ihn nie wieder in mich verliebt sehen ...«
In der Tat hatte Julian in den letzten Tagen mehrfach anerkennende, ja sogar übertreibende Bemerkungen über die glänzenden Eigenschaften der genannten Herren gemacht. Es war in der Naivität seines Schmerzes geschehen. Dieses Motiv blieb Mathilden verborgen. Gerade deshalb wunderte sie sich über sein Lob. Indem er in einer Bizarrerie seines Gemütes einen Nebenbuhler, an dessen Bevorzugung er glaubte, in den Himmel hob, sympathisierte er mit dem Glücklichen.
Seine ebenso aufrichtigen wie dummen Worte änderten, wie gesagt, die ganze Lage mit einem Schlage. Mathilde, der Liebe Julians nun sicher, verachtete ihn jetzt gründlich. Sie ließ ihn mitten im Park stehen, und der letzte Blick, den sie ihm zuwarf, war voller Geringschätzung. Wieder im Salon, sah sie Julian den Rest des Abends nicht mehr an.
Fortan stand ihr ganzes Denken und Trachten im Zeichen ihrer Verachtung. Acht Tage lang hatte es ihr so viel Freude bereitet, Julian als ihren vertrautesten Freund zu behandeln. Davon war keine Spur mehr vorhanden. Ihre Abneigung ging bis zum Widerwillen, und wenn er ihr vor die Augen kam, tat sie alles, um ihm ihre grenzenlose Verachtung kundzutun.
Von dem, was in den letzten acht Tagen in Mathildens Herzen vorgegangen war, wußte und begriff Julian nichts. Nur die Verachtung verspürte er. Er war aber verständig; genug, sich ihr so selten wie nur möglich zu zeigen, und schaute sie keinmal an.
Dadurch beraubte er sich unter großem Schmerze ihrer Gegenwart. Es kam ihm vor, als vermehre er dadurch sein Leid. »Tapferer kann kein Mann sein!« rief er sich zu. Stundenlang hockte er hinter dem sorglich verschlossenen Laden eines kleinen Fensters der Mansarde und betrachtete Mathilde, wenn sie im Garten war. Am wunderlichsten war ihm zumute, wenn er sah, wie sie von Caylus oder von einem der Herren begleitet wurde, mit denen sie einen Flirt gehabt haben wollte.
Julian hatte bis dahin keine Ahnung, welche Abgründe der Schmerz hat. Er hätte laut aufschreien mögen. Seine so standhafte Seele war nun in ihren Grundfesten erschüttert. An etwas zu denken, was nicht mit Mathilde irgendwie zusammenhing, war ihm widerlich. Er war unfähig, die einfachsten Briefe zu schreiben.
»Sie sind nicht bei Sinnen!« tadelte ihn der Marquis.
Julian erschrak. Er bekam Angst, sich zu verraten, und entschuldigte sich damit, er fühle sich krank. Man glaubte ihm.
Zum Glück für ihn machte Herr von La Mole einmal bei Tisch eine scherzhafte Anspielung auf seine bevorstehende Reise. Mathilde erfuhr, daß sie sehr lange dauern könne. Es war schon mehrere Tage her, daß Julian ihr auswich, und die vornehmen jungen Herren, die so ganz anders waren als das blasse düstere Wesen, das sie einst geliebt hatte, waren nicht mehr imstande, sie ihrer Traumwelt zu entreißen.
Sie sagte sich: »Ein gewöhnliches Mädchen hätte sich für einen von diesen jungen Leuten entschieden, die im Salon aller Augen auf sich ziehen. Aber es gehört zur Genialität, nicht im alten Geleise der Allgemeinheit mitzutrotten. Wenn ich die Gefährtin eines Mannes bin, dem nichts fehlt als ein großes Vermögen (und das besitze ich ja!), dann werde ich von aller Welt fortgesetzt beobachtet und nie unbeachtet durch das Leben schreiten. Es fällt mir nicht ein, in einem fort Angst vor einer neuen Revolution zu haben wie meine Cousinen, die aus Furcht vor dem Pöbel kaum einem Postillion, der sie schlecht fährt, grob zu werden wagen. Ich bin überzeugt, daß ich eine Rolle in der Welt spielen werde, und zwar eine große Rolle, denn der Mann, den ich mir erkoren habe, hat festen Charakter und grenzenlosen Ehrgeiz. Was fehlt ihm? Beziehungen und Geld? Das kann ich ihm geben.«
In ihren Gedanken behandelte sie Julian trotzdem als ein niedrigeres Wesen als sich selbst, als eins, von dem man sich lieben läßt, wenn es einem paßt.
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Neunzehntes Kapitel
Die komische Oper
O how this spring of love resembleth
The uncertain glory of an April day;
Which now shows all the beauty of the sun
And by, and by a cloud takes all away!
Shakespeare
V erloren in Grübeleien über die Zukunft und über die Rolle, die sie zu spielen hoffte, kam der Augenblick, wo sich Mathilde nach den nüchternen erdenfernen Gesprächen zurücksehnte, die sie oft mit Julian gepflogen
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