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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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machte.)
    »Ich werde mich von neuem schwach gegen ihn zeigen«, befürchtete Mathilde. »Dann wird er sich erst recht für meinen Herrn und Gebieter halten.«
    Sie entfloh.
    »Bei Gott, sie ist wunderschön!« dachte Julian, als er sie enteilen sah. »Und dieses Geschöpf hat vor noch nicht acht Tagen liebestoll in meinen Armen gelegen! Ach, diese Stunden werden niemals wiederkehren! Und ich bin selber schuld daran! Im Augenblicke eines so großen seltsamen Erlebnisses war ich dafür unempfänglich... Ich muß gestehen: ich bin ein unseliger Alltagsmensch!«
    Der Marquis erschien. Julian beeilte sich, ihm seine Abreise zu melden.
    »Wohin?« fragte Herr von La Mole.
    »Nach dem Languedoc.«
    »Lassen Sie das, wenn ich bitten darf! Ich habe eine andre wichtigere Mission für Sie. Wenn es soweit ist, sollen Sie nach Norden gehen. Ja, militärisch ausgedrückt, erteile ich Ihnen sogar Stubenarrest. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie das Haus nie länger als zwei bis drei Stunden verlassen wollten. Ich kann Ihrer in jedem Augenblick bedürfen.«
    Julian verbeugte sich und zog sich, ohne ein Wort zu sagen, zurück. Der Marquis sah ihm verwundert nach.
    Julian war nicht imstande zu reden. Er schloß sich in sein Zimmer ein. Dort grübelte er fassungslos über sein bitteres Schicksal nach.
    »Großer Gott!« klagte er. »Nicht einmal fort kann ich. Wer weiß, wie lange ich noch hier in Paris bleiben muß. Und ich habe keinen Freund, den ich um Rat fragen könnte!
    Ich werde verrückt! Ich fühle es, ich werde verrückt. Wer steht mir bei? Was soll aus mir werden?«

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Achtzehntes Kapitel
Grausame Augenblicke
Und sie gesteht es mir! Sie malt bis in die kleinsten Einzelheiten die geringsten Umstände. Ihr schönes Auge sieht mich an und kündet mir die Liebe, die sie für einen andern fühlt.
    Schiller
    M athilde dachte voller Entzücken an nichts als an das Glück, beinahe ermordet worden zu sein. Sie verstieg sich soweit, daß sie sich sagte: »Er ist würdig, mein Gebieter zu sein, weil er mich beinahe getötet hat! Wie viele von den glänzenden jungen Herren der Gesellschaft müßte man zusammenschweißen, um einen so leidenschafts-durchloderten Mann zu bekommen! Ich muß gestehen, in dem Moment, wo er auf den Stuhl stieg, um den alten Degen peinlich genau wieder an seinen ihm vom Tapezierer angewiesenen malerischen Platz an der Wand zu hängen, da sah er allerliebst aus! Und trotz alledem war ich nicht toll genug, ihm um den Hals zu fallen.«
    Wenn ihr in diesem Augenblick ein leidlich anständiger Weg erkennbar gewesen wäre, von neuem anzuknüpfen, so hätte sie ihn mit Freuden eingeschlagen.
    Julian hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen und rang mit der heftigsten Verzweiflung. In seinen wahnsinnigen Ideen wäre er Mathilden am liebsten zu Füßen gefallen. Wenn er, statt in seiner Klause zu grübeln, durch Haus oder Garten geirrt wäre, um die Gelegenheit dazu zu finden, so hätte sich sein düsteres Leid vielleicht rasch zu sonnigem Glück gewandelt.
    Mathildens für Julian so günstige Laune hielt den ganzen Tag über an. Sie träumte sich in die flüchtigen Augenblicke zurück, in denen sie ihn geliebt hatte. Vor diesem verlockenden Traum sehnte sie sich nach ihnen zurück.
    »Im Grunde«, sagte sie sich, »hat meine Leidenschaft für den armen Jungen nicht länger gedauert als von ein Uhr nachts, wo ich ihn mit seinen Pistolen in der Rocktasche auf der Leiter zu mir heraufklettern sah, bis zum andern Morgen acht Uhr. Schon eine Viertelstunde später, als ich in der Kirche Sainte-Valère die Messe hörte, fingen meine Bedenken an, er könne sich für meinen Gebieter halten und es versuchen, mich durch Schreckmittel zum Gehorsam zu zwingen.«
    Nach Tisch wich sie ihm diesmal nicht aus; vielmehr redete sie ihn an und forderte ihn auf, sie in den Garten zu begleiten. Er tat es. Diese neue Prüfung hatte nur gefehlt. Ohne sich Gedanken darüber zu machen, gab Mathilde der verliebten Regung nach, die sie von neuem für Julian empfand. Es war ihr ein großes Vergnügen, an seiner Seite zu wandeln. Neugierig betrachtete sie die Hände, die am Vormittag den Degen ergriffen hatten, um sie zu töten.
    Nach einer solchen Tat und nach allem, was geschehen, konnte von einer Unterhaltung im früheren Tone keine Rede sein. Nach und nach begann Mathilde in vertraulicher Weise von ihrem Herzenszustande zu sprechen. Sie fand an dieser Art Plauderei eine seltsame Wollust. Schließlich bekannte sie ihm sogar, daß sie für

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