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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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den Marquis von Croisenois und den Grafen von Caylus eine flüchtige Schwärmerei gehabt habe.
    »Was? Auch für Herrn von Caylus?« unterbrach Julian ihre Erzählung. Die volle bittere Eifersucht des verlassenen Liebenden klang aus seinen Worten heraus. Mathilde fühlte sich durchaus nicht beleidigt. Sie beurteilte seine jähe Frage richtig.
    Sie fuhr fort, Julian zu quälen, indem sie ihre ehemaligen Gefühle auf das anschaulichste und bis in die Einzelheiten schilderte, immer im Tone des vertraulichsten Bekenntnisses. Er fühlte, daß sie das alles vor Augen haben mußte, was sie ihm so deutlich schilderte, und zu seinem Schmerze wurde er gewahr, daß sie beim Erzählen Entdeckungen in ihrem eigenen Herzen machte.
    Das war der Gipfel unglücklicher Eifersucht. Der Argwohn, daß ein Rivale geliebt wird, ist schon grausam genug. Aber eine Liebesbeichte anhören zu müssen, in der einem die Angebetete haarklein darlegt, wie der andere auf sie wirkt, das ist das allergrößte Unglück. Jetzt ward Julian arg dafür gestraft, daß er insgeheim über seine Nebenbuhler triumphiert hatte. Jetzt in seinem echten schweren Kummer erschien ihm Mathilde herrlicher denn je, und um so heißer verachtete er sich selber.
    Sie kam ihm unvergleichlich schön vor. Seine Bewunderung hatte keine Grenzen mehr. Ihr zur Seite schreitend, liebkosten seine Blicke ihre Hände, ihre Arme, ihre ganze königliche Gestalt. Vor Liebe und Leid haltlos, war er nahe daran, ihr zu Füßen zu sinken und Gnade! zu schreien.
    »Ach«, seufzte er, »dieses herrliche, allen überlegene Weib, einst meine Geliebte, wird gewiß bald in den Armen des Herrn von Caylus liegen!«
    Julian hatte keinen Grund, an Mathildens Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Alles, was sie sagte, klang allzu aufrichtig. Mitunter schien es ihm sogar, als müsse sie Herrn von Caylus immer noch lieben. In ihren Worten zitterte etwas wie Verliebtheit. Julian glaubte sich hierin nicht zu täuschen. Er hätte weniger gelitten, wenn man ihm geschmolzenes Blei auf die nackte Brust gegossen hätte. Wie konnte er in seinem unsagbaren Kummer auch ahnen, daß Mathilde von La Mole nur deshalb so viel Genuß daran fand, alte Liebeleien zu beichten, weil sie mit ihm redete.
    Julians Herzensnot war um so qualvoller, weil er diese ausführlichen Geständnisse der Liebe zu anderen in der nämlichen Lindenallee anhören mußte, wo er wenige Tage zuvor den Schlag der Uhr erwartet hatte, der ihn in ihr Zimmer rief. Mehr Liebesschmerz kann ein Mensch nicht ertragen!
    Diese quälerische Vertraulichkeit dauerte acht lange Tage. Bald schien es ihm, als suche Mathilde die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, bald wieder, als entziehe sie sich ihr zum mindesten nicht. Und der Gegenstand ihrer Unterhaltung, auf den beide immer wieder mit schier grausamer Wollust zurückkamen, bestand in der Beschreibung der Gefühle, die Mathilde für andere empfunden hatte. Sie erzählte ihm von den Briefen, die sie geschrieben, wobei sie sich ihres Wortlautes entsann und ganze Sätze hersagte. Ihre Mienen dabei kamen ihm boshaft vor. Er litt maßlos, und sie hatte sichtlich ihre Freude daran.
    Julian hatte keine Lebenserfahrung; ja, er hatte nicht einmal aus Romanen gelernt. Wäre er ein wenig gewandter gewesen, so hätte er der Angebeteten, die ihm so sonderbare Bekenntnisse machte, einfach gesagt: »Gestehe nur: wenn ich auch nicht so vornehm bin wie jene Herren, so bin ich es doch, den du liebst!« Vielleicht wäre sie glücklich gewesen, daß er sie durchschaute. Zum mindesten hätte er unter Umständen Erfolg damit gehabt, je nach der netten Art und Weise, in der er dies gesagt, und je nach dem dazu gewählten Momente. In jedem Falle hätte er der Situation ein Ende gemacht, die Mathilden langweilig zu werden anfing. Damit hätte er einen Vorteil erreicht.
    So aber, nur sein Liebesleid empfindend, fragte er sie eines Tages: »Sie lieben mich nicht mehr, mich, der ich Sie anbete!«
    Das war ungefähr die größte Dummheit, die er begehen konnte. Seine Klage zerstörte mit einem Schlage das Vergnügen, das Fräulein von La Mole darin gefunden hatte, ihm von ihrem Herzenszustande zu erzählen. Nach allem, was vordem geschehen, war sie nachgerade verwundert, daß er ihre Geständnisse hinnahm, ohne sich empört zu zeigen. In dem Moment, ehe er ihr jene törichten Worte sagte, bildete sie sich sogar ein, Julian liebe sie nicht mehr.
    »Sicherlich hat der Stolz seine Liebe erstickt«, hatte sie sich gesagt. »Er ist nicht der Mann, der

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