Rot und Schwarz
fand Beifall.
»Herr von Nerval«, fügte er hinzu, »Sie müßten aus dem Ministerium scheiden! Ihr Name erregt unnützes Mißfallen.«
Bei dieser Äußerung sprang alles auf und redete laut durcheinander.
»Man wird mich noch fortschicken«, dachte Julian, aber selbst der vorsichtige Vorsitzende hatte Sorels Existenz und Anwesenheit offenbar vergessen.
Aller Augen fielen auf einen Herrn, den Julian mit einem Male wiedererkannte. Es war Herr von Nerval, der Premierminister, den er auf dem Ballfest des Herzogs von Retz gesehen hatte. Erst nach einer reichlichen Viertelstunde trat etwas Ruhe ein. Nunmehr erhob sich Herr von Nerval und sagte mit eigentümlicher Stimme und im Tone eines Apostels: »Ich denke nicht daran, Ihnen zu versichern, mir läge nichts an meinem Posten. Ich weiß sehr wohl, meine Herren, daß mein bloßer Name die Kräfte der Jakobiner verdoppelt, da er viele Gemäßigte in ihre Reihen treibt. Aus diesem Grunde würde ich ja gern zurück treten, aber des Herrn Wege sind nur wenigen sichtbar...« Hierbei sah er den Kardinal scharf an. »Ich habe eine Mission zu erfüllen. Der Himmel hat mir gesagt: Du wirst deinen Kopf aufs Schafott tragen oder die Monarchie in Frankreich von neuem aufrichten und die Kammern wieder zu dem machen, was das Parlament unter Ludwig XV. war. Das, meine Herren, werde ich vollbringen!«
Damit war er zu Ende und setzte sich wieder. Tiefe Stille trat ein.
»Ein guter Schauspieler!« dachte Julian. Aber er irrte sich wie gewöhnlich, weil er den Leuten zu viel Geist zutraute. Angeregt durch die Debatte eines so lebhaften Abends und vor allem durch die Offenherzigkeit der Erörterungen, glaubte Herr von Nerval in diesem Augenblick tatsächlich an seine Mission. Er war ein sehr mutiger Mann, aber kein Genie.
Während der Stille nach dem schönen Worte: »Das werde ich vollbringen!« – schlug es Mitternacht. Im Klang der Standuhr lag etwas Erhabenes, Unheimliches. Julian war bewegt.
Alsbald fing die Debatte mit vermehrter Heftigkeit und geradezu unglaublicher Harmlosigkeit von neuem an. Bisweilen hatte Julian den Gedanken: »Diese Leute müßten mich eigentlich umbringen! Wie können sie solche Dinge vor einem Plebejer erörtern?«
Es schlug zwei Uhr, und man redete immer noch. Der Hausherr war längst eingenickt. Der Marquis von La Mole mußte klingeln und den Befehl geben, die Kerzen zu erneuern. Um drei Viertel zwei Uhr war der Minister von Nerval gegangen, nicht ohne sich Julians Gesicht in einem der hohen Spiegel gründlich eingeprägt zu haben. Als er ging, atmeten alle andern sichtlich auf.
Während neue Kerzen eingesetzt wurden, raunte der Westenmann seinem Nachbarn leise zu: »Weiß der Teufel, was der Mensch Seiner Majestät hinterbringen wird. Er ist imstande, uns lächerlich zu machen und uns Steine in den Weg zu legen.«
»Das muß man sagen«, meinte der andre. »So unverschämt, so dreist ist nicht gleich wieder einer. Sich hier zu zeigen! Ehe er das Ministerium bekam, da war er hier völlig am Platze. Aber das Portefeuille ändert alles. Als Minister bekommt man ganz andre Interessen. So viel Takt müßte er eigentlich haben.«
Kaum war der Minister hinaus, da fielen dem napoleonischen General die Augen zu. Er begann von seiner Gesundheit und seinen Verwundungen zu reden, sah nach der Taschenuhr und ging ebenfalls.
»Ich möchte wetten«, sagte der Westenmann, »er rennt dem Minister nach. Er wird sich entschuldigen, hier gewesen zu sein, und doch so tun, als sei er der Haupthahn.«
Als die verschlafenen Diener die Kerzen erneuert hatten, forderte der Vorsitzende auf: »Kommen wir endlich zu einem Beschluß, meine Herren! Versuchen wir nicht länger, einander zu überzeugen. Überlegen wir uns den Wortlaut der Note, die in achtundvierzig Stunden unsern auswärtigen Freunden vorliegen soll. Man hat die Minister erwähnt. Jetzt, wo Herr von Nerval nicht mehr anwesend ist, können wir es aussprechen. Was gehen uns die Minister an? Wir werden ihnen unsern Willen aufzwingen.«
Der Kardinal stimmte verschmitzt lächelnd zu.
»Nichts ist meiner Ansicht nach leichter, als unsre Lage in ein paar Worte zu fassen«, sagte der junge Bischof von **** voll verhaltener Glut des höchsten Fanatismus. Er hatte bisher stumm dagesessen. Julian hatte ihn beobachtet. Sein anfangs friedliches und sanftes Auge war im Laufe der Debatte immer feuriger geworden. Jetzt floß seine Seele über wie die Lava des Vesuvs.
»Von 1806 bis 1814«, sagte er, »hat England einen
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