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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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dem Languedoc sein und erst auf Deinen Befehl wieder in Paris erscheinen. Eins macht mir das Herz schwer. Das Geschehene wird allerhand bösen Klatsch gegen mich und gegen Dich entfesseln. Am Ende bringt der öffentliche Spott irgendeiner törichten Person unsern lieben Norbert in Differenzen mit Julian. Meine Macht über meinen Mann hätte dann ihre Grenzen. Dann kommt der Plebejer und der Rebell in ihm zum Vorschein. Mein lieber Vater, ich flehe Dich auf den Knien an, komme zu meiner Trauung in die Kirche des Pfarrers Pirard am nächsten Donnerstag! Dadurch wird dem Klatsch böser Mäuler die Spitze abgebrochen und die Zukunft Deines Enkelkindes klargestellt...«
    Der Marquis geriet durch diesen Brief in die sonderbarste Verlegenheit. Er mußte sich endlich in bestimmter Richtung entschließen. Keine seiner kleinen Gewohnheiten, keiner seiner bisherigen Freunde, nichts stand ihm jetzt bei. In so seltsamer Lebenslage gewannen die starken Elemente seines Charakters, die er den Erlebnissen seiner Jugend verdankte, von neuem die Oberhand. Im Elend der Emigrationszeit war er ein ganzer Mann geworden. Zwei Jahre war er im Genuß eines ungeheuren Vermögens und aller höfischen Auszeichnungen gewesen: da kam das Jahr 1790, das ihn zum bettelarmen Landesflüchtigen machte. Die harte Schule des Exils wandelte seine zweiundzwanzigjährige Seele bis in den Grund. Seine jetzigen Reichtümer waren ihm nichts als Milieu; sie beherrschten ihn nicht. Aber die nämliche Einbildungskraft, die seine Seele vor der Gier nach Gold bewahrt hatte, war der Quell einer tollen Leidenschaft in ihm, nämlich der, seine Tochter mit einem hohen Titel geschmückt zu sehen.
    In den letzten sechs Wochen hatte der Marquis die Laune gehabt, Julian zum reichen Manne zu machen. Seine Tochter konnte unmöglich einen armen Gatten haben. Das kam ihm nicht wohlanständig, ja unvornehm vor. Dies war der Grund seiner verschwenderischen Schenkungen. Am Tage darauf schwenkte seine Phantasie bereits in eine neue Richtung. Er meinte, Julian müsse die stumme Sprache dieser Freigebigkeit dahin verstehen: sich unter falschem Namen nach Amerika einschiffen und Mathilden mitteilen, er sei gestorben für sie. Sofort bildete sich der Marquis ein, ein solcher Brief sei unterwegs. Er stellte sich den Eindruck auf seine Tochter vor.
    Am Tage, da er Mathildens wirklichen Brief erhielt, träumte Herr von La Mole zur Abwechslung davon, Julian morden oder verschwinden zu lassen. Dann kam er auf den Gedanken, ihm eine glänzende Zukunft zu bereiten. In Gedanken verlieh er ihm den Namen eines seiner Güter. Warum sollte er ihm nicht seine Pairswürde überlassen? Hatte der Herzog von Chaulnes, sein Schwiegervater, seitdem sein einziger Sohn in Spanien gefallen war, nicht mehrfach davon gesprochen, seinen Herzogstitel auf den Grafen Norbert übertragen zu wollen?
    Der Marquis sprach mit sich selbst. »Man kann Julian eine einzigartige Geschicklichkeit in Geschäften, Wagemut, ja Elan nicht absprechen. Aber es ist mir, als lauere in der Tiefe seines Charakters etwas Fürchterliches. Diesen Eindruck macht er allgemein. Es muß also an dem sein...«
    Je schwieriger ihn die Ergründung dieses Geheimnisses dünkte, um so mehr graute ihm, dem Phantasten, davor.
    »Meine Tochter hat neulich die sehr gescheite Bemerkung gemacht, Julian habe sich keinem Salon und keiner Clique angeschlossen. Er hat sich mir gegenüber keines Rückhalts versichert. Wenn ich ihn im Stich lasse, steht ihm nicht die geringste Hilfe zu Gebote. Soll ich das als Unkenntnis der Gesellschaft von heute deuten? Ich habe ihm zwei- oder dreimal gesagt: Es gibt keine sicherere und erfolgreichere Kandidatur als die des Salons... Nein. Gewandter, umsichtiger Advokatengeist, der keine Minute, keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen läßt, der fehlt ihm durchaus! Er ist kein Charakter wie Ludwig XI. Und doch sehe ich andrerseits, daß in seiner Weltanschauung unedle Elemente ihr Wesen treiben. Hier ist meine Menschenkenntnis zu Ende. Sollte er sich dieses Gift eingeimpft haben, um seinen Enthusiasmus zu neutralisieren?
    Übrigens, eines ist sonnenklar: Verachtung erträgt er nicht. Daran halte ich mich. Vor hoher Geburt beugt er sich nicht. Er respektiert unsereinen nicht aus Instinkt. Daran ist nichts zu ändern. Leider. Eigentlich sollte seinesgleichen nur zweierlei nicht ertragen können: Mangel an Geld und an Genuß! Er ist aus der Art geschlagen. Um keinen Preis erduldet er Verachtung.«
    Der Brief seiner Tochter

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