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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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leben, und Mathilde nicht ohne mich.«

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Fünfunddreißigstes Kapitel
Ein Unwetter
Mein Gott, schenke mir Mittelmäßigkeit.
    Mirabeau
    S eine Seele flog in die Weite. Kaum erwiderte er Mathildens Liebkosungen. Still und versonnen saß er da. Niemals aber war er ihr so anbetungswürdig, so groß und genial erschienen. Nur bangte ihr, sein Stolz könne durch irgendwelchen Mißklang verletzt werden. Sie hatte Angst vor einem Zwischenfall, der mit einem Schlage alles wieder veränderte.
    Fast alle Vormittage sah sie den Pfarrer Pirard ins Haus kommen. Sollte Julian durch ihn nicht über die Absichten ihres Vaters einigermaßen unterrichtet sein? Konnte ihm der Marquis schließlich nicht selber geschrieben haben? Wie sollte sich Mathilde Julians ernste Miene nach einem so großen Glücke sonst erklären? Sie wagte nicht zu fragen.
    Sie wagte es nicht! Sie, Mathilde von La Mole!
    Von Stund an war ihre Liebe zu Julian, ihr ganzes Gefühlsleben durchzittert von etwas Vagem, Bangem, Grauenhaftem. Die Leidenschaft, deren eine inmitten der Überkultur einer Weltstadt groß gewordene kühle Seele überhaupt fähig ist, hatte ihren Höhepunkt erreicht.
    Am andern Morgen in der Frühe fand sich Julian im Pirardschen Pfarrhause ein. Alsbald fuhr eine in der nächsten Posthalterei gemietete alte wackelige Postkutsche in den Hof ein.
    »Es ist zum letzten Male, daß Sie in solch einem Wagen fahren. Das schickt sich nicht mehr für Sie«, bemerkte der Abbé mürrisch. »Hier sind zwanzigtausend Franken, die Ihnen Herr von La Mole zur Verfügung stellt, unter der Bedingung, daß Sie diese Summe im Laufe eines Jahres ausgeben, ohne sich dabei allzu lächerlich zu machen...«
    Eine so hohe Summe in der Hand eines jungen Mannes dünkte den Pfarrer eine ungeheuerliche Verführung zur Sünde.
    »Ich habe den Marquis endlich dazu gebracht«, fuhr Pirard fort, »sich mit dem Abbé von Frilair, dem Erzjesuiten, zu versöhnen. Er ist uns zu mächtig. Eine stillschweigende Bedingung dieses Vergleichs wird die Anerkennung Ihrer adligen Herkunft durch diesen Mann sein, der in Besançon regiert.«
    Julian konnte seine innige Freude nicht verbergen. Jetzt war er anerkannt! Er fiel dem Pfarrer um den Hals.
    »Pfui!« rief Pirard und stieß ihn von sich. »Was soll diese weltliche Eitelkeit?« Geschäftlichen Tones fuhr er fort: »Es ist der Wunsch des Herrn Marquis, daß Herr von La Vernaye es für angebracht erachtet, seinem Pflegevater, dem Herrn Sägemüller Sorel zu Verrières, ein Geschenk zu machen. Besser aber werde ich dies statt Ihrer tun. Ich werde Herrn Sorel und seinen beiden Söhnen jedem ein Jahresgeld von fünfhundert Franken aussetzen, das gezahlt werden soll, solange ich mit ihnen zufrieden bin.«
    Julian hatte seinen kühlen Hochmut wiedergewonnen. Er sprach seinen Dank aus, aber in allgemein gehaltenen Worten, die zu nichts verpflichteten. Bei sich dachte er: »Ob ich nicht doch der natürliche Sohn eines der großen Herren bin, die der schreckliche Napoleon in unsre Berge verbannt hat?« Allmählich kam ihm diese Vermutung immer weniger unmöglich vor. »Ein Beweis dafür wäre schließlich auch mein Haß gegen meinen Vater. Dann wäre ich kein Ungeheuer mehr!«
    Einige Tage nach diesem Selbstgespräch exerzierte das 15. Husarenregiment, eines der glänzendsten der französischen Armee, auf dem Exerzierplatz von Straßburg. Der Chevalier von La Vernaye ritt das schönste Pferd im ganzen Elsaß. Es hatte ihn sechstausend Franken gekostet. Er war als Oberleutnant eingestellt, ohne je mehr als auf dem Papier Leutnant in einem andern Regiment gewesen zu sein, von dem er keine Ahnung hatte.
    Sein blasiertes Aussehen, seine ernsten, fast bösen Augen und seine unwandelbare Kaltblütigkeit sicherten ihm vom ersten Tage an Respekt und Ansehen. Dazu kamen seine vollendete gemessene Höflichkeit und seine ohne Prahlerei zutage tretende Fertigkeit im Schießen und Fechten. Von vornherein verstummte jede Widerrede. Nach ein paar Tagen hatte er die öffentliche Meinung des Regiments auf seiner Seite. Ein Witzbold unter den älteren Offizieren bemerkte: »Dem jungen Manne fehlt nichts, nur die Jugend!«
    Von Straßburg aus schrieb Julian an Chélan, den hochbetagten Pfarrer von Verrières, unter anderm:
    »Gewiß haben Sie zu Ihrer Freude vernommen, daß sich meine Familie veranlaßt gesehen hat, mich wohlhabend zu machen. Anbei sind fünfhundert Franken, die ich Sie bitte, unauffällig und ohne Nennung meines Namens unter die Armen zu

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