Rot und Schwarz
erheischte einen Entschluß.
»Die große Frage ist die«, fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. »War dieser Julian so vermessen, meiner Tochter den Kopf zu verdrehen, weil er weiß, daß ich sie über alles liebe und daß ich zwölffacher Millionär bin? Mathilde behauptet das Gegenteil... Mein verehrter Herr Sorel, das ist ein Punkt, in dem ich mir nichts vormachen lasse! Handelt es sich hier wirklich um wahre blinde Liebe oder um gemeine Gier, in eine gute Lage zu kommen? Mathilde hat mich richtig beurteilt. Von Anfang an hat sie gewußt: Ein solcher Verdacht macht mich steinhart. Daher ihr Geständnis, sie sei die Verführerin... Sollte sich eine junge Dame von so stolzem Charakter so weit vergessen haben, ihm grobe Avancen zu machen? Ihm abends im Garten den Arm zu drücken? Pfui Teufel! Als ob sie nicht hundert anständigere Mittel gehabt hätte, ihm ihre Gunst anzudeuten!
Wer sich entschuldigt, klagt sich an! Ich traue Mathilden nicht...«
In seiner weiteren Grübelei kam er zu einem bestimmteren Ergebnis denn sonst. Ganz aber überwand er seine Gewohnheit nicht. Er beschloß, Zeit zu gewinnen und seiner Tochter zu schreiben.
So schrieben sie sich innerhalb des Hauses. Der Marquis wagte nicht mit seiner Tochter Auge in Auge zu reden. Er fürchtete, durch impulsive Nachgiebigkeit alles zu verderben.
Er schrieb ihr:
»Begehe vor allen Dingen keine neuen Torheiten! Hier hast Du ein Kavallerie-Oberleutnantspatent für Herrn Chevalier Julian Sorel von La Vernaye. Du siehst, daß ich alles mögliche für ihn tue. Arbeite mir nicht entgegen! Verhalte Dich still und stumm! Julian soll binnen vierundzwanzig Stunden abreisen und sich in Straßburg bei seinem Regiment melden. Anbei einen Scheck auf meinen Bankier. Ich verlange Gehorsam.«
Die Freude der Liebenden war grenzenlos. Um den Sieg auszunutzen, antwortete sie auf der Stelle:
»Herr von La Vernaye würde Dir vor Dankbarkeit zu Füßen fallen, wenn er alles das wüßte, was Du gnädigst für ihn getan hast. Aber bei aller Großmut hat mein Vater mich vergessen. Die Ehre seiner Tochter steht auf dem Spiel. Kompromittiert, verfalle ich ewiger Schande, die keine noch so hohe Jahresrente wieder gutmachen kann. Ich werde das Patent nur an Herrn von La Vernaye weiterschicken, wenn Du mir Dein Wort gibst, daß meine Hochzeit im Laufe der nächsten vier Wochen öffentlich in Villequier gefeiert wird. Es ist die höchste Zeit. Bald wird Deine Tochter nur noch als Frau von La Vernaye öffentlich erscheinen dürfen.
Herzlichst danke ich Dir, daß Du mich vor dem Namen Sorel gerettet hast...!«
Es kam die unerwartete Antwort:
»Gehorche, oder ich mache alles rückgängig! Büße nur Deine Torheit in Hangen und Bangen! Noch kenne ich Deinen Julian nicht und Du erst recht nicht. Er soll nach Straßburg gehen und sich dort gut führen. In vierzehn Tagen erfährst Du meine weiteren Absichten.«
Dieser energische Brief setzte Mathilde in Erstaunen.
»Noch kenne ich Julian nicht!« Dieser Satz machte sie nachdenklich. Schließlich aber verlor sie sich in den holdesten Träumereien, die sie mit der Wirklichkeit verwechselte. »Mein genialer Julian paßt nicht in die armselige Uniform der guten Gesellschaft. Mein Vater glaubt an seine Überlegenheit nicht, und zwar gerade in Hinsicht auf Dinge, die sie beweisen...
Allerdings: füge ich mich dieser Anwandlung von Energie nicht, so kann es zu einem öffentlichen Skandal kommen. Ein Bruch mit meinem Vater verringert mein gesellschaftliches Ansehen und macht mich am Ende auch Julian weniger begehrenswert. Dazu die Armut! Nein, die Torheit, einen Mann seiner Persönlichkeit wegen zu wählen, ist nur im Reichtum nicht lächerlich. Sobald ich fern von meinem Vater lebe, vergißt er mich wahrscheinlich. Er ist betagt. Norbert wird eine liebenswürdige und gewandte Frau heiraten. Wurde Ludwig XIV. in seinem Alter nicht von der Herzogin von Burgund berückt?«
Sie entschloß sich zum Gehorsam, jedoch hütete sie sich, den väterlichen Brief Julian mitzuteilen. Bei seiner heftigen Natur konnte er leicht etwas Unbedachtes begehen.
Als sie ihm am Abend die Nachricht überbrachte, er sei Husaren-Oberleutnant, kannte seine Freude keine Grenzen. Sein Ehrgeiz; frohlockte. Die Namensänderung kam ihm ganz unerwartet.
»Alles in allem«, sagte er sich, »ist mein Roman nun zu Ende. Ich habe meine Sache vorzüglich gemacht. Ich habe es fertiggebracht, vom hochmütigsten aller Wesen geliebt zu werden. Der Marquis kann ohne sie nicht
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