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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Leinwand. Das brachte ihn wieder zu sich. »Ach so, ich bin ja im Gefängnis...«, murmelte er, »als ein zum Tode Verurteilter! Und mit Recht ... Graf Altamira hat mir einmal erzählt, Danton hätte am Tage seiner Hinrichtung mit seiner Polterstimme gesagt: »Spaßig! Das Zeitwort köpfen läßt sich nicht durchkonjugieren. Man kann wohl sagen: Ich werde geköpft! Du wirst geköpft! Aber man kann nicht sagen: Ich bin geköpft worden!«
    Oder vielleicht doch? Wenn es ein Jenseits gäbe? Lieber nicht! Wenn ich da drüben den Christengott fände, wäre ich verloren! Das ist ein Despot. Ein Dämon der Rache. Seine Bibel spricht von nichts als von schrecklichen Strafen. Ich habe ihn nie geliebt. Habe nicht einmal glauben können, daß ihn jemand aufrichtig lieben könne. Er kennt kein Erbarmen...« Hierbei fielen ihm etliche Bibelstellen ein. »Er würde mich gräßlich strafen...
    Aber wenn ich nun den Gott Fénelons fände? Der würde vielleicht zu mir sagen: ›Du hast viel geliebt. Dir soll viel verziehen werden!«
    Habe ich viel geliebt? Allerdings, Frau von Rênal habe ich geliebt, aber ich habe sie nicht darnach behandelt. Wie überall im Leben: das Schlichte, Bescheidene, Gütige wird verlassen eines schönen Trugbilds wegen...
    Was wäre ich wohl geworden? Husarenoberst im Kriege. Im Frieden: Gesandtschaftsattaché, später Gesandter ... Denn mein Geschäft hätte ich sehr bald famos verstanden. Und selbst wenn ich ein Schafskopf gewesen wäre: welchen Nebenbuhler hätte der Schwiegersohn des Marquis von La Mole zu fürchten gehabt? Man hätte mir jede Dummheit nachgesehen, ja als Riesenschlauheit ausgelegt. Als verdienstvoller Mann in der höchsten Stellung in Wien oder London ... Halt, Herr Sorel! In drei Tagen werden Sie geköpft!«
    Er mußte über diesen Gedankensprung herzlich lachen. »Wahrhaftig«, scherzte er, »der Mensch hat zwei Seelen in seiner Brust. Wer zum Teufel hätte mich sonst auf diesen boshaften Einwand gebracht?
    Meinetwegen! In drei Tagen werde ich also geköpft. Cholin wird sich zusammen mit dem Abbé Maslon ein Fenster mieten. Ich möchte nur eins wissen: Welcher von den beiden Ehrenmännern sich um die Bezahlung drücken wird!«
    Jene Stelle aus dem »Venceslas« von Jean Rotrou kam ihm plötzlich in den Sinn:
    Ladislas: Bereit ist meine Seele!
    Der König (Ladislas' Vater): Der Richtblock auch! Leg drauf dein Haupt!
    »Die beste Antwort!« dachte Julian und schlief ein.
    Am andern Morgen weckte ihn jemand auf, der ihn fest umschlang. Verstört öffnete Julian die Augen.
    »Schon!« rief er. Er bildete sich ein, es wären des Henkers Hände.
    Es war Mathilde.
    »Zum Glück hat sie mich nicht verstanden.« Diese Gewißheit gab ihm seine ganze Kaltblütigkeit wieder.
    Mathilde kam ihm verändert vor, als ob sie lange krank gewesen wäre. In der Tat war sie kaum wiederzuerkennen.
    »Der infame Frilair hat mich zum Narren gehalten!« rief sie, die Hände ringend. Vor Wut vermochte sie nicht zu weinen.
    »Habe ich gestern nicht vorzüglich ausgesehen, als ich meine Rede hielt?« fragte Julian. »Ich habe aus dem Stegreif gesprochen, zum ersten Male in meinem Leben, allerdings wohl auch zum letzten Male.« In diesem Augenblick spielte er auf Mathildens Seele wie ein kühler Virtuos auf seiner Klaviatur. »Zwar besitze ich den Vorzug einer hohen Geburt nicht«, fuhr er fort, »indessen hat Mathildens große Seele ihren Geliebten zu sich emporgehoben. Glaubst du, Bonifaz von La Mole habe seine Rolle vor seinen Richtern besser gespielt?«
    An diesem Tage war Mathildens Zärtlichkeit so echt und natürlich wie die eines armen kleinen Mädchens fünf Treppen hoch, aber es gelang ihr nicht, Julian zu schlichter Rede zu bringen. Ohne es zu wollen, zahlte er ihr jetzt die Qualen heim, die sie ihn so oft hatte leiden lassen.
    »Keines Menschen Auge soll mich schwach sehen!« sagte er zu sich. »Ich bin nicht schwach. Nur ist mein Herz rührselig. Die albernste Sentimentalität, geschickt vorgetragen, macht meine Stimme zitterig und entlockt mir Tränen. Wie oft haben mich harte Gemüter wegen dieser Schwäche verachtet! Sie bildeten sich ein, ich sei eine Memme. Das darf ich nicht dulden...
    Man berichtet, der Gedanke an seine Frau habe Danton vor dem Schafott windelweich gestimmt. Dafür hat Danton ein ganzes Volk von Hanswürsten zu Taten aufgerappelt und den Feind von Paris ferngehalten ... Ich ganz allein weiß, zu was ich imstande gewesen wäre. Für die andern bin ich im besten Falle eine

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