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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Rênal weinte. Er sah Träne um Träne langsam über ihr schönes Gesicht hinabrinnen ...
    Als sich Mathilde klar ward, daß sie nichts erreichen konnte, ließ sie den Anwalt eintreten. Aus rein äußerlichen Gründen versuchte er, den Entschluß des Angeklagten rückgängig zu machen. Julian, der ihn achtungsvoll behandeln wollte, setzte ihm seinen Standpunkt genau auseinander.
    »Mein Gott«, sagte der Anwalt schließlich, »ich kann Ihnen das nachfühlen. Aber Sie haben ja drei volle Tage Zeit mit der Berufung. Ich werde nicht versäumen, täglich wiederzukommen. Wer weiß, was in acht Wochen alles passiert. Schließlich können Sie bis dahin auch an einer Krankheit gestorben sein.«
    Julian drückte ihm die Hand.
    »Ich danke Ihnen«, sagte er. »Sie sind ein wackerer Mann! Ich werde mir's überlegen.«
    Als dann Mathilde zusammen mit dem Anwalt hinausging, empfand er erheblich mehr Freundschaft zu ihm als zu ihr.

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Dreiundvierzigstes Kapitel
    E ine Stunde später, als er von neuem fest eingeschlafen war, wurde er durch Tränen geweckt, die ihm über die Hand rannen. »Schon wieder Mathilde!« dachte er, noch halb im Schlafe. »Sie will mich durch Sentimentalitäten kirre machen...«
    Verdrießlich über die Aussicht auf eine neue Szene im pathetischen Stile, hielt er seine Augen geschlossen. Ein paar Verse aus einer der
Contes
von Lafontaine kamen ihm in den Sinn: Belphegor auf der Flucht vor seiner Frau. Da hörte er ein eigentümliches Seufzen. Er schlug die Augen auf und erblickte Frau von Rênal.
    Im Augenblick lag er ihr zu Füßen.
    »Oh! Sehe ich dich noch einmal, ehe ich sterbe!« rief er. »Oder ist es ein Traumbild?«
    Ganz wach werdend, fügte er hinzu: »Verzeihung, gnädige Frau. Für Sie bin ich nur ein Mörder!«
    »Herr Julian«, sagte sie in schlichtem Tone, »ich komme, Sie zu beschwören: Legen Sie Berufung ein! Ich weiß, Sie wollen es nicht...«
    Vor Schluchzen konnte sie nicht weitersprechen.
    »Ich flehe Sie an, vergeben Sie mir!«
    Sie warf sich in seine Arme.
    »Wenn du willst, daß ich dir verzeihe, dann mußt du sofort Berufung gegen das Todesurteil einlegen!«
    Julian hörte nicht auf, sie zu küssen.
    »Willst du mich bis zur Entscheidung alle Tage besuchen?« fragte er. »Es wird acht Wochen dauern.«
    »Ich schwöre es dir. Ich will alle Tage kommen, wenn es mir mein Mann nicht verwehrt.«
    »Gut! Ich unterschreibe«, erklärte Julian. »Verzeihst du mir wirklich? Ist dies möglich?«
    Er drückte sie fest an sich, ganz von Sinnen. Sie stieß einen leisen Schrei aus.
    »Was hast du!«
    »Nichts. Du hast mir ein wenig weh getan.«
    Julian brach in Tränen aus, gab sie frei und bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen.
    »Wer hätte das gedacht, als ich dich zum letzten Male in deinem Zimmer in Verrières küßte!«
    »Und wer hätte mir damals gesagt, daß ich einen so infamen Brief an Herrn von La Mole schreiben würde...«
    »Glaube mir: immer nur habe ich dich geliebt, immer nur dich und keine andre!«
    »Ist dies möglich?« rief Frau von Rênal glückselig.
    Sie legte ihren Kopf an Julians Schulter, während er vor ihr kniete. Lange weinten sie beide wortlos. Nie in seinem ganzen Leben hatte er einen ähnlichen Augenblick gehabt.
    Nach einer langen Weile, als sie wieder zu sprechen vermochte, fragte Frau von Rênal: »In welchen Beziehungen stehst du zu der jungen Frau ... dem Fräulein von La Mole? Ich bin nahe daran, an den seltsamen Roman zu glauben.«
    »Der Schein trügt«, entgegnete Julian. »Sie ist meine Frau, aber nicht meine Geliebte...«
    Indem sie sich hundertmal unterbrachen, gelang es ihnen schließlich, sich gegenseitig über das zu unterrichten, was sie voneinander nicht gewußt hatten. Den Brief an den Marquis hatte der junge Priester aufgesetzt, der seit einiger Zeit Frau von Rênals Beichtvater war. Sie hatte ihn nur abgeschrieben.
    »Zu welch schauderhafter Tat hat mich der Glaube gezwungen!« klagte sie. »Dabei habe ich die gräßlichsten Stellen noch gemildert!«
    Julians Glücksrausch bewies ihr zur Genüge, daß er ihr verzieh. Nie war er so liebestoll gewesen.
    »Ich halte mich trotzdem für fromm«, sagte Frau von Rênal im Laufe des Gesprächs. »Ich glaube aufrichtig an Gott. Ebenso glaube ich ... und darüber gibt es wohl keinen Zweifel ... daß ich eine abscheuliche Sünde begehe ... und doch, jetzt, wo ich bei dir bin ... trotzdem du zweimal auf mich geschossen hast ...«
    Ohne daß sie es wollte, verstummte sie unter Julians

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