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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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selbst das wenige, was von den freundlichen Reden der beiden Freundinnen überhaupt in sein Gehör drang, sinnlos, albern, fad, mit einem Worte: weibisch.
    Frau von Rênal gab sich die größte Mühe, das Gespräch im Fluß zu erhalten. Sie sprach von allem möglichen, und so erzählte sie unter anderm, ihr Mann sei diesmal aus Verrières gekommen, um von einem seiner Pächter Maisstroh zu kaufen. In jener Gegend werden nämlich die Matratzen mit solchem Stroh gefüllt.
    »Mein Mann wird uns nicht nachkommen«, erklärte sie. »Er wird jetzt dabei sein, mit dem Gärtner und dem Diener die Matratzen im ganzen Hause frisch zu füllen. Heute vormittag sind sämtliche Betten im ersten Stock fertig geworden. Nun kommen die im zweiten dran.«
    Julian ward feuerrot und sah Frau von Rênal mit einem sonderbaren Blick an. Indem er seine Schritte verdoppelte, suchte er allein mit ihr zu sein. Frau Derville ließ die beiden vorausgehen.
    »Retten Sie mir die Existenz!« bat er Frau von Rênal. »Sie, nur Sie können es. Sie wissen doch, daß mich der Diener in den Tod haßt. Gnädige Frau, ich muß Ihnen etwas gestehen. Ich habe im Stroh meines Bettes ein Bild versteckt.«
    Frau von Rênal wurde bei diesem Geständnis leichenblaß.
    Julian fuhr fort: »Nur Sie, gnädige Frau, nur Sie können in mein Zimmer. Wühlen Sie, ohne daß es jemand merkt, in der Ecke des Strohsacks, in der nach dem Fenster zu! Da drinnen finden Sie eine kleine flache schwarze Pappschachtel...«
    »Mit einem Bild darin?« stammelte Frau von Rênal. Sie vermochte sich kaum noch aufrecht zu erhalten.
    Julian bemerkte die Verzweiflung in ihren Mienen und machte sich dies sofort zunutze.
    »Ich habe noch eine Bitte, gnädige Frau. Um alles in der Welt, sehen Sie sich das Bild nicht an! Es ist mein Geheimnis.«
    »Ein Geheimnis!« wiederholte Frau von Rênal mit ersterbender Stimme.
    Sie war zwar unter Leuten aufgewachsen, die auf ihren Reichtum eingebildet und nur im Geldpunkt empfindlich waren, doch zugleich mit der Liebe hatte auch der Edelmut in ihrem Herzen Einzug gehalten. Tiefer Schmerz erfüllte sie, aber im Tone schlichtester Demut bat sie um nochmalige Unterweisung, um den Auftrag auf jeden Fall erfüllen zu können.
    Im Weggehen wiederholte sie: »Also eine kleine runde Schachtel, aus schwarzer Pappe, flach und glatt...«
    »Jawohl, gnädige Frau!« bestätigte ihr Julian hart und rauh, wie Männer in Gefahr sprechen.
    Sie stieg zum zweiten Stock des Schlosses hinauf, bleich, als ginge es in den Tod. Am allerschrecklichsten war es ihr, daß sie sich einer Ohnmacht nahe fühlte. Sie mußte Julian diesen Dienst erweisen: das rief ihr die Kräfte zurück.
    »Ich muß das Bild holen!«
    Mit dieser Selbstermutigung eilte sie hinauf. Oben hörte sie ihren Mann mit dem Diener sprechen. Sie waren gerade in Julians Zimmer. Glücklicherweise gingen sie alsbald in das Schlafgemach der Kinder.
    Frau von Rênal hob die Matratze auf und steckte ihre Hand in das Stroh. Sie tat dies so hastig, daß sie sich die Finger aufriß. Aber obwohl sie sonst gegen kleine Schmerzen sehr empfindlich war, spürte sie die Verletzung gar nicht, denn fast im selben Augenblick fühlte sie das glatte Papier der Schachtel. Sie zog sie hervor und eilte von dannen.
    Jetzt, ledig der Furcht, von ihrem Manne überrascht zu werden, gewann das Grauen vor dem Inhalt der Schachtel dermaßen die Oberhand, daß es ihr schwarz vor den Augen ward.
    »So liebt Julian eine andre, und ich habe hier das Bild seiner Geliebten!«
    In der Vorhalle sank sie auf einen Stuhl, ein Opfer aller Qualen der Eifersucht. Das einzige, was ihr noch Halt gab, war ihre grenzenlose Unkenntnis von Leben und Leidenschaft. Sie staunte vor sich selbst, und dies Erstaunen milderte ihren Schmerz.
    Julian kam, riß ihr die Schachtel aus der Hand, und ohne ein Wort des Dankes, ohne überhaupt etwas zu sagen, lief er in sein Zimmer, wo er Feuer im Kamin machte und das Bild sofort verbrannte. Er war blaß und erschöpft. Die überstandene Gefahr dünkte ihm riesengroß.
    »Napoleons Bild«, sagte er vor sich hin, indem er ein bedenkliches Gesicht zog, gefunden im heimlichen Besitze jemandes, der vor der Welt versichert, den Usurpator zu hassen! Gefunden von Herrn von Rênal, dem Erzroyalisten, meinem Feinde! Und als Krone aller meiner Dummheit stehen hinten auf der weißen Pappe des Bildes Kritzeleien von meiner Hand, die untrüglichsten Offenbarungen meiner Napoleonsschwärmerei! Mit den genauen Daten dieser Liebesergüsse!

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