Rot und Schwarz
Das letztemal vorgestern!«
Als die Schachtel in Flammen aufging, fuhr er fort: »Im nächsten Augenblick wäre mein guter Ruf zum Teufel gegangen! Mein guter Ruf, mein einzig Hab und Gut! Ihm danke ich das Dasein ... großer Gott... dieses armselige Dasein!«
Eine Stunde später hatte ihn die Müdigkeit und das Mitleid mit sich selbst milder gestimmt. Als er Frau von Rênal begegnete, ergriff er ihre Hand und küßte sie, aufrichtig wie noch nie. Sie ward vor Glück rot, aber fast im nämlichen Augenblick wehrte sie Julian in aufwallender Eifersucht von sich ab. Von neuem in seinem Stolz verletzt, gebärdete er sich diesmal wie ein Narr. Er sah in Frau von Rênal nichts denn die reiche Dame. Er ließ ihre Hand los und rannte weg. Grübelnd lief er im Garten auf und ab, ein bitteres Lächeln um seine Lippen. Schließlich kam er zu folgender Erkenntnis: »Hier gehe ich nun spazieren, als sei ich ganz Herr meiner Zeit. Ich kümmere mich nicht um die Kinder. Ich setze mich abermals dem aus, daß mich Herr von Rênal demütigt, mit Recht demütigt!«
Er eilte in das Kinderzimmer. Die Zärtlichkeiten des Jüngsten, seines Lieblings, besänftigten ein wenig sein wehes Leid.
»Der mißachtet mich noch nicht!« dachte Julian. Alsbald aber machte er sich aus dem Nachlassen seines Schmerzes den Vorwurf, doch ein Schwächling zu sein.
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Zehntes Kapitel
Ein großes Herz
und ein kleines Vermögen
But passion most dissembles, yet betrays,
Even by its darkness; as the blackest sky
Foretells the heaviest tempest.
Byron, Don Juan, I, 73
H err von Rênal kam mit den Dienstboten, die die Matratzen wieder an Ort und Stelle brachten, nach und nach durch alle Räume des Schlosses. So auch abermals in das Kinderzimmer.
Sein unerwartetes Erscheinen brachte Julians Zorn zum Ausbruch. Bleicher und finsterer denn sonst trat er ihm entgegen. Herr von Rênal blieb stehen und sah seinen Leuten zu.
»Herr Bürgermeister«, begann Julian, »glauben Sie, jeder beliebige Hauslehrer brächte die Kinder so gut vorwärts wie ich?« Und ohne Herrn von Rênal zu Worte kommen zu lassen, fuhr er fort: »Wenn Sie darauf mit nein antworten müssen, wieso dürfen Sie mir dann vorwerfen, ich vernachlässigte die Kinder?«
Herr von Rênal war zunächst starr vor Schreck. Dann aber zog er sofort aus dem auffälligen Tone, den sich der Bauernjunge herausnahm, den Schluß, daß er ein vorteilhaftes Angebot in der Tasche haben müsse und das Haus verlassen wolle. Währenddem redete sich Julian immer mehr in die Wut. Seine letzten Worte waren: »Ich komme auch ohne Sie in der Welt weiter, Herr Bürgermeister!«
Herr von Rênal erwiderte, ein wenig stotternd: »Es tut mir wirklich leid, daß Sie so aufgeregt sind.«
Die Dienstboten waren, keine zehn Schritte weit, immer noch mit den Betten beschäftigt.
»Das macht die Sache nicht wieder gut!« erwiderte Julian aufgebracht. »Erinnern Sie sich der niederträchtigen Worte, die Sie gegen mich gerichtet haben, und obendrein vor den Damen!«
Herr von Rênal glaubte zu wissen, worauf Julian hinauswollte. Die ganze Geschichte war ihm höchst peinlich.
Schließlich verlor Julian jedwede Selbstbeherrschung. Er schrie geradezu.
»Ich weiß, wohin ich gehe, wenn ich dies Haus verlasse, Herr Bürgermeister!«
Herr von Rênal sah seinen Hauslehrer im Geist bereits bei Valenod.
»Hören Sie mal, Herr Sorel!« sagte er nunmehr, beinahe stöhnend und mit einem Gesicht, als stünde er vor einer sehr schmerzhaften ärztlichen Operation. »Ich füge mich Ihrem Wunsche. Übermorgen ist der Erste. Fortan erhöhe ich Ihr Gehalt auf fünfzig Franken.«
Julian hätte am liebsten laut aufgelacht, aber er verzog keine Miene. All sein Zorn war verlodert.
»Diesen Trottel habe ich noch gar nicht genug verachtet«, sagte er sich. »Zweifellos ist das die höchste Satisfaktion, die einem eine so inferiore Seele zu geben vermag.«
Die Kinder, die bei diesem Auftritt Mund und Ohren aufgesperrt hatten, rannten in den Garten, um ihrer Mutter zu vermelden, daß Herr Julian sehr böse geworden sei, aber nun bekäme er monatlich fünfzig Franken. Julian ging ihnen nach, wie er dies gewohnt war. Herr von Rênal, der keines Blicks gewürdigt ward, schaute ihm ärgerlich nach.
»Der Valenod kostet mich also einhundertachtundsechzig Franken!« schimpfte er bei sich. »Warte nur, ich werde dir bei deinen Findelkindern ein bißchen mehr auf die Finger sehen!«
Ein paar Minuten später stand Julian abermals vor Herrn von
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