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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Mut und der Ehrlichkeit der Freundschaft allerlei halbverhüllte Anspielungen und malte ihr die Gefahr, der sie entgegenlief, in den gräßlichsten Farben.
    Frau von Rênal hatte nichts im Sinn als mit Julian allein zu sein. Sie sehnte sich danach, ihn zu fragen, ob er sie noch liebe. Trotz ihrer angeborenen Herzensgüte war sie ein paarmal nahe daran, ihrer Freundin begreiflich zu machen, wie lästig sie ihr war.
    Abends im Garten wußte es Frau Derville geschickt einzurichten, daß sie zwischen Frau von Rênal und Julian zu sitzen kam. Die Liebende hatte im köstlichsten Vorgefühl seines Händedrucks geschwelgt, und nun konnte sie nicht einmal mit ihm reden.
    Diese Mißlichkeit erhöhte ihre Erregung. Und etwas quälte sie ganz besonders. Sie hatte Julian so harte Worte wegen seines unvorsichtigen nächtlichen Kommens gesagt, daß ihr bangte, er könne in der kommenden Nacht ausbleiben.
    Sehr zeitig verließ sie den Garten und ging in ihr Schlafzimmer. Als sie sich vor Ungeduld nicht mehr halten konnte, schlich sie sich vor Julians Tür und horchte. Bei aller Besorgnis und trotz ihrer heißen Sinne wagte sie aber doch nicht, zu ihm hineinzugehen. Das wäre ihr dirnenhaft vorgekommen. Ein böses Sprichwort fiel ihr ein.
    Da die Dienstboten noch nicht alle oben in ihren Schlafkammern waren, hielt sie es für angebracht, wieder in ihr Zimmer zu gehen. Sie harrte zwei weitere Stunden, die sich ihr wie zwei Jahrhunderte der Qual hindehnten.
    Julian war seiner imaginären Pflicht viel zu treu, um nicht Zug für Zug auszuführen, was er sich vorgeschrieben hatte. Als es ein Uhr schlug, schlich er leise aus seinem Zimmer, vergewisserte sich, daß der Hausherr fest schlief, und erschien bei Frau von Rênal.
    In dieser Nacht fand er bei seiner Geliebten mehr Glück, dieweil er nicht beständig an die Rolle dachte, die er sich anbefohlen hatte. Seine Augen sahen und seine Ohren hörten. Als Frau von Rênal klagte, sie sei zu alt, wurde er noch ruhiger.
    »Ach, zehn Jahre bin ich älter als du. Wie kannst du mich da lieben?« sagte sie immer wieder, ohne daß sie damit mehr als ihren Kummer darüber offenbaren wollte.
    Julian verstand ihr Leid nicht, aber er fühlte, daß es echt war, und darum verlor er seine Angst, lächerlich zu sein. Ebenso schwand sein törichtes Mißtrauen, wegen seiner plebejischen Herkunft als Liebhaber zweiter Klasse zu gelten. Mit Julians wachsender Verliebtheit errang seine scheue Geliebte ihre Ruhe wieder und ein wenig Glück sowie die Fähigkeit, ihn zu beurteilen. Zu seinem Glücke war er in dieser Nacht von der Unnatur frei, die ihm das Beieinander der ersten Nacht wohl zu einem Siege, nicht aber zu einem Vergnügen gemacht hatte.
    Wenn Frau von Rênal seinen Willen verspürt hätte, eine bestimmte Rolle zu spielen, so hätte diese traurige Entdeckung ihr für immerdar alles Glück genommen. Betrübt hätte sie darin die Folge des Altersunterschiedes zu erfahren vermeint.
    Nach ein paar Tagen war Julian in der Hitze seiner Jugend sinnlos verliebt.
    »Wahrlich«, gestand er sich, »sie ist engelsgut und unvergleichlich hübsch!«
    Der Gedanke an seine Rolle entschwand ihm fast ganz. In einem Augenblick der Selbstvergessenheit gestand er Frau von Rênal sogar alle seine Kümmernisse. Diese Offenheit hob ihre Liebe zu ihm auf den Gipfel. Sie wagte die Frage, wessen Bild es gewesen, das ihm damals so große Sorge bereitet habe. Er schwur ihr, daß es sich um das Porträt eines Mannes gehandelt habe.
    »So habe ich also keine glückliche Rivalin, auch in der Vergangenheit nicht!« rief sie voller Glückseligkeit.
    Gewann sie auch die nötige Kaltblütigkeit zum Nachdenken, so schwand doch ihre Verwunderung nicht, daß es solch ein nie geahntes Glück überhaupt gab. Von neuem seufzte sie: »Ach, hätte ich Julian vor zehn Jahren kennengelernt, als ich noch wirklich hübsch war!«
    Julian hegte gänzlich andre Gedanken. Im Grund war seine Liebe immer noch Ehrgeiz. Es war ihm ein Genuß, ihm, dem armen, elenden, verachteten Bauernjungen, ein so schönes und vornehmes Weib sein eigen zu nennen. Sein Entzücken angesichts ihrer Körperschönheit, seine Liebesworte und Liebkosungen beruhigten sie schließlich auch über den Altersunterschied. Hätte sie freilich die Lebenserfahrung gehabt, die eine Dreißigjährige in kultivierten Gegenden im allgemeinen besitzt, so hätte ihr über die Dauer einer Liebschaft bangen müssen, die nur lebte, weil sie dem Erkorenen eine Überraschung und ein Paradies der

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