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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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des Westrandes von Wien. Nach einer halben Stunde Fahrt stieg er ganz in der Nähe der Siedlung aus der U 4.
    Der Sommer hatte sein letztes Zwischenspiel endgültig beendet. Albin ärgerte sich, weil er noch immer seine leichten Sachen vom Morgen trug. Während er zum hintersten Block der Siedlung ging, schwoll das Nieseln zu einem handfesten Dauerregen an.
    Ein Klingelschild wäre wegen der Größe des Blocks zwei Meter lang gewesen. Jeder Besucher musste per Tastatur eine Zahlenkombination eingeben. Albin kannte die von Gregoritsch nicht. Zum Glück konnte er hinter einer Frau mit einem Dackel in das Gebäude schlüpfen. Fast zehn Minuten irrte er umher, ehe er den gesuchten Namen Gregoritsch auf einer Tür fand. Dort blieb sein Klopfen vergeblich. Das Apartment war verlassen.
    Seine Beharrlichkeit rief lediglich eine Nachbarin auf den Plan. »Versuchen Sie es auf dem Dach«, riet die Frau. Sie steckte nur ihr spitzes Gesicht zur Tür heraus, als wäre sie entweder nackt oder in unansehnliche Hausklamotten gekleidet. »Herr Gregoritsch dreht um diese Zeit dort seine Runden.«
    Auf dem Weg zum Lift stellte sich Albin vor, wie der Lektor mit ausgebreiteten Armen um die Spitze des Gebäudes flog. Oben wusste er, was die Frau wirklich gemeint hatte: In luftiger Höhe gab es eine Freizeitanlage mit einem Schwimmbecken, einer Sauna und einer Kunstrasenbahn für Läufer.
    Durch eine Glastür trat Albin ins Freie und schlang sofort die Arme um den Körper. Hier oben war ihm, als hätte sich der Sommer nicht nur für die nächsten Monate, sondern für immer verabschiedet. Klamme Wasserschwaden badeten das Gebäude in nasser Kälte.
    Die Düsternis des regnerischen Abends kippte jetzt in die Finsternis der Herbstnacht. Spärliches elektrisches Licht fiel auf den Kunstrasen, in dem jeder Schritt eine Mulde voll Wasser hinterließ. Die Wohnblocks ringsum sahen gespenstisch aus. Mit den Zierpflanzen auf den Balkonen kamen sie Albin wie bewachsene Hügel vor, durch deren Klüfte und Risse ein beleuchtetes Höhlensystem schimmerte.
    Das Schwimmbecken lag auf einem Quader in der Mitte des Daches. Rings um diesen Aufbau führte grün die Laufstrecke, in seinem Inneren war die Sauna untergebracht. Unter deren Tür sickerte Licht durch, und in der Luft hing als einziges Zugeständnis an die warmen Seiten des Lebens ein Geruch von ätherischen Ölen, der aus der Hitze kam.
    Albin lauschte. Wenn Gregoritsch hier lief, musste er bald seine Schritte hören. Doch da war nur das Summen des Abendverkehrs in der nahen Hadikgasse.
    Schließlich entdeckte er den dunklen Umriss am Geländer. Er hielt ihn zuerst für eine Säule. Doch es war ein regloser Mann in einem Trainingsanzug. Seine Hände steckten in dicken Fäustlingen. Eine Kapuze warf einen schwarzen Schatten über sein Gesicht.
    Die Sauna-Besucher waren vielleicht schon tot, dachte Albin. Vielleicht hatte sie der massige Mann eingesperrt, bis sie einem Hitzschlag erlegen waren. Vielleicht lagen sie auch erwürgt am schwarzen Gummiboden, durch den sonst der Schweiß abfloss. »Entschuldigen Sie die Störung«, rief er, als er bis auf fünf Meter an den Schattenmann herangekommen war. »Mein Name ist Fischer, Albin Fischer. Wir haben telefoniert.«
    Die Gestalt drehte sich halb zu ihm herum. »Guten Tag, Herr Fischer, Albin Fischer. Sie sehen blass aus. Geht es Ihnen nicht gut? Oder liegt das am Licht?«
    »Es geht mir ausgezeichnet.«
    »Ich bin Gregoritsch, Frank Gregoritsch.«
    Der Mann wandte sich wieder ab, als wäre damit alles Wesentliche gesagt.
    Albin dachte mit Unbehagen an den Grund seines Besuches. Er hätte sich hier lieber über Balkonbepflanzung, das Leben in der Peripherie oder die Geschichte des Wohnparks unterhalten als über einen Mord mit rätselhaften Hintergründen.
    »Sehen Sie sich diese seltsame Stadt an«, sagte Gregoritsch jetzt. »Hier leben zehntausend Wiener mit dem gleichen Grundriss: Schlafzimmer, Wohnzimmer, Vorzimmer, Küche, Bad und Klo. Je nach Bedarf gibt es ein bis drei Kinderzimmer dazu. Auch die Balkone unterscheiden sich nicht. Manchen Menschen gibt dieser Gedanke ein Gefühl von Geborgenheit, andere macht er depressiv. Zu welchen gehören Sie?«
    Nur noch anderthalb Meter Abstand haltend stellte sich Albin ebenfalls an das Geländer. »Immerhin gibt es eine schöne Freizeit-Anlage.«
    »Sehr höflich, junger Mann.«
    »Ich bin wegen des Todes von Ronald Markovics hier.«
    »Ich habe eben über den Tod nachgedacht. Nicht über diesen speziellen,

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