Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
die Brust und versetze ihm einen Klaps, dann schiebe ich ihn zurück. Eins der Vollblüter stößt ein schrilles Wiehern aus.
    »Schaff die anderen raus«, blaffe ich nun Daly an.
    Er rennt los, um die anderen zu warnen, während ich zulasse, dass Corr aus seiner Box stürmt und mich durch den Gang auf die Tür zum Hof zuschleift. Sie ist geschlossen, um den Regen und noch Schlimmeres draußen zu halten.
    »Nicht da raus«, ruft Daly von irgendwo hinter mir. »Malvern ist da draußen.«
    Verdammt. So wird Malvern erfahren, dass ich mich noch immer bei seinen Pferden einmische. Aber ich kann das, was hier drinnen vorgeht, nicht aufhalten, bevor ich mich nicht mit dem Problem dort draußen befasst habe.
    Ich stoße die Tür auf, am anderen Ende meines Führstricks gebärdet sich Corr kraftvoll und widerspenstig. In der nächsten Sekunde bin ich bis auf die Knochen durchnässt. Wasser in meinen Ohren, meinen Augen, es ist, als würde ich den Himmel trinken. Ich muss mir das Wasser von der Stirn wischen und blinzeln, um einigermaßen klar sehen zu können. Auf dem ganzen Hof liegen Schindeln von den Stalldächern verstreut. Jede einzelne Lampe im Hof brennt, alle in einen verwaschenen gelben Nimbus gehüllt. Am Tor stehen drei Stuten
    und stemmen sich von außen gegen das Holz, versuchen verzweifelt hineinzukommen – es sind Zuchtstuten von Malverns Weiden, weit draußen, kurz vor Hastoway. Wenn sie jetzt hier sind, bedeutet das, dass irgendetwas mit den Zäunen passiert ist, woraufhin sie hierhergekommen sind, auf der Suche nach etwas Vertrautem. Eine von ihnen lahmt so stark, dass mir das Herz schwer wird. Die größte der Stuten muss mich an meinem Gang erkennen, denn sie hört auf, sich gegen das Tor zu drängen, und wiehert mir zu, ein gedehnter, flehender Laut. Sie verlässt sich darauf, dass ich sie vor dem rette, was sie hierhergetrieben hat.
    Dann sehe ich Malvern und David Prince, den Stallmeister. Malvern hält eine Schrotflinte in der Hand, was recht optimistisch von ihm ist.
    Der Schrei klingt jetzt, als käme er aus allen Richtungen zugleich, von irgendwo dort draußen. Er lässt jeden einzelnen Regentropfen erzittern und brandet durch die Wolken über unseren Köpfen. Das Geheul ist wie Gift, eine lähmende Verheißung. Dieser Sturm treibt die Insel in den Wahnsinn.
    Corr zieht und zerrt an meinem Arm. Ich sehe, wie sich seine Hufe vom Hofpflaster heben und wieder hinunterkrachen, aber ich höre es nicht. Alles, was ich höre, ist der pulsierende Schrei, so laut, als wäre er in meinem Kopf. Ein Schrei, der unter Wasser meilenweit zu hören ist. Ich reiße an Corrs Halfter, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, und ziehe dann seinen Kopf zu mir herunter. Seine Lippen sind zu einem dämonischen Grinsen verzogen; diesen Corr sehe ich nicht gern. Trotz all der Jahre, die wir einander kennen, beginnt mein Herz zu hämmern. Er ist ein Monster. Mit einer Hand schiebe ich die gebleckten Zähne von mir weg und ziehe mit der anderen sein Ohr zu mir herunter.
    Ich schürze die Lippen und stoße ein klagendes Wimmern aus, direkt in sein Ohr. Es ist leiser als das Heulen rings um uns. Das Heulen, das immer näher kommt.
    Corr reagiert nicht. Seine Lippen sind weit zurückgezogen und ent-
    blößen seine Zähne; er ist kein Pferd mehr. Ich ziehe so hart an seinem Ohr, dass es wehtun muss, und singe noch einmal hinein, ein tiefes Summen, das am Ende zu einem Seufzen abfällt.
    Malvern hebt seine Schrotflinte und richtet sie auf etwas, was ich in der Dunkelheit und dem Nebel nicht sehen kann.
    »Corr!«, schreie ich und Regen füllt meinen Mund. Wieder stoße ich meinen klagenden Schrei aus.
    Malvern schießt, doch das Heulen des sich nähernden Capaill Uisce bricht nicht ab. Lauter kann es nun nicht mehr werden.
    Und dann, endlich, stößt Corr den Laut aus, zu dem ich ihn die ganze Zeit gedrängt habe. Ein dunkles Brummen, das ich bis in das Ende des Führstricks in meiner Hand spüre. Das meine Schuhsohlen vibrieren lässt. Das sich wie langsam aufsteigende Bläschen unter das Heulen mischt. Corrs Gesang wird lauter und verändert sich zu einem Stöhnen, einem Grollen, einem Brüllen wie dem der Windböen zwischen den Gebäuden. Der Laut erfüllt den Hof und rollt weiter durch den Regen. Es ist ein Kampfschrei, eine Drohung, eine Warnung: Dieses Land gehört mir. Das hier ist meine Herde.
    Das andere Heulen verklingt unter Corrs Gesang, der nun noch lauter anschwillt, um die zurückbleibende Stille zu füllen. Die

Weitere Kostenlose Bücher