Rot wie das Meer
Stuten am Tor sind fast wahnsinnig vor Furcht und ich weiß, dass es den Pferden im Stall noch schlimmer ergehen muss. Corrs klarer, hoher Schrei unterscheidet sich nicht von dem, den er verdrängt hat – aber diesem hier kann ich ein Ende setzen.
Ich lausche und lausche, um sicherzugehen, dass Corrs Heulen das einzige ist. Mein Trommelfell auf der Corr zugewandten Seite gibt nur noch ein dumpfes Rauschen von sich. Das andere aber verzeichnet keinen Herausforderer.
Jetzt schließe ich fest die Faust um Corrs Halfter, drücke meine Finger auf die Adern an seinem Hals und zeichne langsam, gegen den Uhrzeigersinn, einen Kreis. Corrs Heulen gerät ins Stocken. Ich presse meine Lippen an seine Schulter und flüstere in sein regennasses Fell.
Stille senkt sich über die Nacht. Mein rechtes Ohr rauscht noch immer, wie ein Radio ohne Empfang. Malvern und Prince blicken mich an. Die Zuchtstuten am Tor zittern und drängen sich aneinander. Das Schlagen von Hufen im Stall ist verstummt.
Der Regen prasselt auf uns nieder; es gibt nichts Trockenes mehr auf dieser Welt. Auf der anderen Seite des Hofs macht Malvern eine knappe Geste in meine Richtung.
Ich führe Corr auf das bleiche Licht zu, in dem Malvern steht. Mal-verns Augen huschen von mir zu Corr, der in der Dunkelheit und vor Nässe schwarz wirkt.
»Haben Sie es sich schon anders überlegt?«, fragt Malvern.
»Nein.«
Malverns Stimme klingt herablassend. »Geht mir genauso. Das hier ändert gar nichts.«
Ich bin nicht sicher, ob ich ihm glaube.
40
Puck Genau wie Finn es vorhergesagt hat, tobt der Sturm eine Nacht und einen Tag lang über Thisby und am Ende dieses verregneten Tags können wir wieder zurück in unser Haus. Ich bin erleichtert, denn ich würde lieber barfuß das Skorpio-Rennen laufen, als noch einmal mit Gabe zusammen in Beechs winzigem, nach Schinken riechendem Bett zu schlafen. Auch Tommy hat es eilig, nach Hause zu kommen, weil er sein Capaill Uisce in der Obhut seiner Familie am anderen Ende der Insel gelassen hat und nicht sicher ist, wie gut sie damit zurechtkommen. Diese Familie würde ich gern mal kennenlernen, die nichts dagegen zu haben scheint, sich um ein Wasserpferd zu kümmern, während Tommy auszieht, um die Nachbarn zu retten. Das ist schon etwas anderes, als seine Mutter zu bitten, der Katze ein Schäl-chen mit Fleischresten hinzustellen, während man unterwegs ist. Ich weiß, dass ich Tommys Eltern schon mal begegnet sein muss – so wie ich jedem auf dieser Insel schon mal begegnet sein muss –, aber ich kann ihnen keine Gesichter zuordnen. In meiner Vorstellung haben Mr und Mrs Falk beide Tommys leuchtend blaue Augen und seinen schönen Mund. Außerdem verpasse ich ihm auch noch ein paar Geschwister, wo ich schon mal dabei bin. Zwei Brüder und eine Schwester. Die Schwester ist eher unscheinbar. Die Brüder sind es nicht.
Gegen Abend sind wir bereit zum Aufbruch. Die Jungen steigen, wie es sich für echte Männer gehört, in Tommys Auto, während ich kurzerhand Doves Führstrick durch ihr Halfter ziehe, sodass ich eine Art Zaumzeug mit Zügeln habe und ohne Sattel hinter ihnen herreiten kann.
Die Haustür schlägt zu und einen Moment später bemerke ich, dass Peg Gratton neben mich getreten ist. Schweigend und mit verschränkten Armen sieht sie zu, wie ich Dove flüchtig den Staub von den Schultern klopfe.
»Danke noch mal«, sage ich schließlich, einfach weil ich etwas sagen muss.
Sie antwortet nicht, sondern hebt nur die Augenbrauen, wie ein Nicken, nur ohne den Kopf zu bewegen. »Es gibt immer noch eine ganze Menge Leute, die dich da unten am Strand nicht sehen wollen.«
Ich versuche, nicht wütend auf sie zu werden. »Ich habe doch schon gesagt, dass ich mich nicht umstimmen lasse.«
Peg lacht kurz auf, es klingt wie das Krächzen einer Krähe. »Ich rede hier auch nicht von mir. Ich rede von Männern, die kein Mädchen bei ihrem Rennen dabeihaben wollen.«
Mein Mund sagt Oh, aber meine Stimme nicht.
»Pass einfach auf dich auf. Lass keinen deinen Sattelgurt für dich anziehen. Und erlaub keinem, deine Stute zu füttern.«
Ich nicke, auch wenn es mir zwar leichtfällt, mir vorzustellen, dass jemand über meine Teilnahme an dem Rennen erbost ist, aber nicht ganz so leicht, dass mir deswegen jemand etwas antun würde.
»Was ist mit Sean Kendrick?«, frage ich.
Ich sehe Peg Gratton an und sie lächelt ihr kleines, verschwiegenes Lächeln. Ihr Gesicht ist genauso schwer zu lesen wie unter ihrem Vogelkopfputz. »Du
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