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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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machst wirklich nichts auf die einfache Art, oder?«
    »Ich wusste nicht«, erwidere ich wahrheitsgemäß, »dass es so schwierig werden würde, als es anfing.«
    Peg pflückt Dove einen Strohhalm aus der Mähne. »Es ist nicht schwer, Männer davon zu überzeugen, dass sie in dich verliebt sind, Puck. Du musst nur sein wie ein Berg, den sie erklimmen müssen, oder ein Gedicht, das sie nicht verstehen. Irgendwas, was ihnen das Gefühl verschafft, stark und unheimlich clever zu sein. Darum lieben sie auch das Meer so sehr.«
    Ich bin nicht sicher, ob das der Grund ist, aus dem Sean Kendrick das Meer liebt.
    Peg redet weiter: »Wenn du aber zu sehr bist wie sie, dann ist die Magie verschwunden. Keiner sucht nach dem heiligen Gral, wenn er aussieht wie eine gewöhnliche Teetasse.«
    »Ich will ja gar nicht gesucht werden.«
    Sie schürzt die Lippen. »Ich sag ja nur, du verlangst, dass sie dich wie einen Mann behandeln. Aber eigentlich glaube ich, dass weder du noch sie das wirklich wollen.«
    Ihre Worte bereiten mir Unbehagen, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob es daran liegt, dass ich ihrer Meinung bin, oder daran, dass ich es nicht bin. Wieder sehe ich Ake Palsson vor mir, der mit seinem Pferd vor mir zurückweicht, und die Kombination aus Pegs Worten und dieser Erinnerung schnürt mir die Kehle zu. »Ich will bloß in Ruhe gelassen werden«, entgegne ich leise.
    »Wie ich schon sagte«, erwidert Peg. »Du verlangst von ihnen, dich wie einen Mann zu behandeln.«
    Sie formt einen Steigbügel mit ihren verschränkten Fingern und hilft mir beim Aufsitzen. Dann gibt sie Dove einen Klaps aufs Hinterteil, damit sie Tommys Auto folgt, das gerade losfährt. Nach einer Weile drehe ich mich noch einmal um. Peg steht da und blickt uns nach, aber sie winkt nicht.
    Meine Stimmung hebt sich langsam, je weiter wir uns von dem weißen Haus der Grattons entfernen. Nachdem wir so lange drinnen eingepfercht waren, riecht die Luft sauber und wie frisch gewaschen. Die Insel selbst sieht ein bisschen aus wie unsere Küche – zu viel Zeug und zu wenig Ordnung. Holzlatten liegen weit entfernt von den Zäunen, von denen sie stammen müssen, Dachziegel hängen in den Sträuchern und mitten auf den Feldern liegen die Äste ferner Bäume. Schafe streunen unbeaufsichtigt über die Straße, was eigentlich nichts Ungewöhnliches ist, aber ich sehe auch ein paar gepflegt glänzende Stuten außerhalb ihrer Umzäunung grasen. Das wässrige Abendlicht wirkt wie ein zögerliches Lächeln unter Tränen.
    Von den Capaill Uisce, die aus dem Sturm aufgetaucht sind, ist nichts zu sehen und ich frage mich, ob sie alle schon zurück ins Meer verschwunden sind. In diesem Moment wirkt die Insel unendlich friedvoll, als würde sie niemals von Ärger und Wasserpferden und Unwettern heimgesucht. Ich glaube, wenn Thisby sich die ganze Zeit über so zeigen würde, hätten wir eine vollkommen andere Art Touristen.
    Aber ich weiß, dass dies nicht das wahre Gesicht Thisbys ist. Das wahre Gesicht wird sich wieder morgen bei Sonnenaufgang zeigen. Bis zum Rennen ist es nur noch gut eine Woche. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich bereit bin. Im Moment ist es schwer vorstellbar, dass unsere Geschichte so enden wird, wie ich sie Finn erzählt habe. Das Glück ist den Connollys in letzter Zeit nicht besonders hold gewesen.
    Doch als ich nach Hause komme, sehe ich, dass Finns Gesicht vor Freude strahlt. Hinter ihm in der Küche hockt Puffin, die Hofkatze. Ihr Schwanz ist abgebissen und die Wunde sieht hässlich aus. Sie wirkt empört und scheint sich selbst unheimlich leidzutun, aber immerhin ist sie am Leben.
    Diese Insel ist geheimnisvoll und unberechenbar. Ich weiß nicht, was sie als Nächstes für mich geplant hat.

41
    Sean Heute, im letzten Abendlicht, tue ich, was mein Vater immer getan hat, und laufe durch die Felder zum Strand an der Westküste der Insel. Während die Sonne tief und rot am Horizont hängt, wate ich ins Meer. Das Wasser steht immer noch hoch und ist als Folge des Sturms bräunlich trüb, wenn also irgendetwas darin lauern sollte, werde ich es nicht sehen. Aber genau um dieses Nichtwissen geht es ja. Darum, sich den Möglichkeiten, die sich unter dieser Oberfläche verbergen, voll und ganz auszuliefern. Es war schließlich nicht das Meer, das meinen Vater getötet hat.
    Das Wasser ist so kalt, dass meine Füße beinahe sofort taub werden. Ich breite die Arme aus und schließe die Augen. Ich lausche auf das Geräusch von Wasser auf Wasser.

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