Rot wie das Meer
entehren. Na ja, nicht ›Gott‹. Aber ich hätte fast ›Jesus Christus!‹ gesagt. Außerdem habe ich eine ganze Orange allein aufgegessen, ohne Finn etwas davon zu sagen, weil ich wusste, dass er sauer sein würde.«
Pfarrer Mooneyham sagt: »Geh nach Hause, Kate.«
»Ich habe gesündigt. Mir fällt nur gerade nichts ein. Ich will nicht, dass Sie etwas anderes von mir denken.«
»Würdest du dich besser fühlen, wenn ich dich zwei Ave-Marias und ein Columba-Bekenntnis sprechen ließe?«
»Ja, danke.«
Er erteilt mir die Absolution. Und ich fühle mich erlöst. Als ich aufstehe, sehe ich, dass jemand auf einer Bank auf der gegenüberliegenden Seite der Kirche sitzt und darauf wartet, zur Beichte zu dürfen. Es ist Annie, Dory Mauds jüngste Schwester. Ihr Lippenstift ist ein bisschen verschmiert, aber es kommt mir gemein vor, eine blinde Frau darauf hinzuweisen, also sage ich nichts. Beinahe hätte ich Elizabeth übersehen, die am Ende derselben Bank sitzt, das Haar festgesteckt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ich weiß nicht, wer von den beiden zur Beichte will. Annie blickt verträumt drein, aber das tut sie immer, weil sie nicht mal einen Meter weit sehen kann. Elizabeth wirkt leicht verärgert, aber das tut sie immer, weil sie mehr als einen Meter weit sehen kann.
»Puck«, sagt Elizabeth.
Auch Annie grüßt mich mit ihrer sanften Stimme.
»Wo willst du denn hin?«, will Elizabeth wissen.
Ich fühle mich ein wenig leichter. »Ich muss jemandem seine Jacke zurückbringen.«
45
Puck Schon lange bevor der Malvern-Hof schließlich in der Dämmerung vor mir liegt, kann ich an der Straße seine Vorboten sehen – endlose Weiden voller Pferde – und riechen – gute Pferde, die gutes Heu fressen und guten Mist produzieren. Ich glaube, mit Pferdemist verhält es sich genauso wie mit Katzenkratzern. Beides ist nicht allzu unangenehm, solange es nicht in zu großen Mengen auftritt und nicht zu frisch ist. Und an dem Gras-Heu-Mist-Geruch des Malvern-Hofs ist absolut nichts Unangenehmes. Es war ein langer Tag und nichts garantiert mir, dass er nicht noch länger werden wird, also gönne ich mir das kleine Vergnügen, mir vorzustellen, dass all dieses sanft abfallende Weideland und die glänzenden Stuten zu beiden Seiten der Straße mir gehören und ich gemütlich auf meinen eigenen Hof zuspaziere, erfüllt von jener beschwingten Zufriedenheit, die der Anblick des eigenen Besitzes und die Gewissheit, dass ein Abendessen auf einen wartet, das einmal eine Kuh gewesen ist, mit sich bringen.
Auf der Galoppbahn zu meiner Linken trabt ein schmächtiger Kerl auf einem Vollblutwallach vorbei. Er hat seine Steigbügel so kurz gestellt wie ein Jockey, der er wahrscheinlich auch ist, sodass er beim Traben eher über dem Pferd zu schweben scheint, als es zu reiten. Ein Mann sieht vom Zaun aus zu, und wenn ich wild aufs Wetten wäre wie Dory Maud, würde ich viel Geld darauf setzen, dass er nicht von hier ist. Hauptsächlich, weil er weiße Schuhe trägt, und ich glaube nicht, dass es auch nur einen einzigen Laden auf Thisby gibt, in dem man weiße Schuhe kaufen kann. In der Nähe
des Hauptgebäudes führt ein Pferdepfleger einen dunklen Schimmel mit klatschnassem Fell zurück auf eine der Weiden. Das Pferd sieht sauberer aus, als ich mich fühle, und ist sichtlich besser genährt. Durch eine offene Tür erhasche ich einen Blick auf einen Fuchs, der beidseitig angebunden auf der Stallgasse steht, während ein Junge ihn striegelt. Das Abendlicht fällt zu ihnen hinein und zeichnet eine purpurfarbene Kopie von Pferd und Pfleger auf den Boden. Ein Wiehern hallt über den Hof und ein Pferd im Inneren des Stalls erwidert es.
Alles sieht genau so aus, wie ich mir einen berühmten Rennstall immer vorgestellt habe, und plötzlich überkommt mich ein eigenartiges Gefühl. Ich halte mich nicht für einen besonders ehrgeizigen Menschen und habe auch nicht schon immer davon geträumt, eines Tages einen eigenen Hof zu besitzen. Außerdem kann ich nicht viel mit Leuten anfangen, die ihre Zeit damit verschwenden, zu jammern und zu klagen und sich die Haare über etwas zu raufen, was sie nicht haben und auch nie haben werden, denn Dad hat uns seit unserer Kindheit gepredigt, dass es einen Unterschied zwischen brauchen und wollen gibt. Aber als ich nun hier im Herzen des Malvern-Hofs stehe, versetzt es mir doch einen kleinen schmerzhaften Stich, dass ich selbst niemals so einen Hof haben werde.
Ich frage mich, ob an einem
Weitere Kostenlose Bücher