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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Frage ist, ob ich Sean traue.
    »Wie sieht diese Hilfe aus?«, frage ich und Seans Miene hellt sich auf wie der Himmel über Skarmouth an einem sonnigen Tag. Er spuckt sich wieder in die Hand und schiebt Corr an die Rückwand der Box, damit ich genug Platz habe, um die Tür zu öffnen. Dann stehe ich in der Box.
    Er sagt: »Du darfst ihm nicht trauen.«
    Ich kneife die Augen zusammen. »Und dir?«
    Seans Gesichtsausdruck verändert sich kein bisschen. »Ich bin nicht derjenige, der dir etwas tun würde. Weißt du, wie man ein Bein bandagiert?«
    »Ich hab schon Beine bandagiert, da war ich noch nicht mal auf der Welt«, erwidere ich, ein bisschen beleidigt über seine Frage.
    »Muss 'ne interessante Schwangerschaft gewesen sein«, bemerkt Sean und zeigt dann auf einen Eimer an der Wand. Sein Inhalt ist pechschwarz. »Das da kommt unter die Bandage. Es muss ganz gleichmäßig sein.«
    Ohne Corr aus den Augen zu lassen, greife ich nach dem Eimer.
    »Achte darauf, dass der Seetang ganz glatt liegt.«
    »In Ordnung.«
    »Lass zwei Zentimeter bis zum Karpalgelenk frei.«
    »In Ordnung.«
    »Die Bandage muss so locker sein, dass ein Finger dazwischen-passt.«
    »Sean Kendrick.« Meine Stimme ist so energisch, dass die Ohren des Hengstes in meine Richtung zucken. Mir ist es allerdings lieber, wenn er mich nicht beachtet. Sein interessierter Blick erinnert mich zu sehr an das schwarze Capaill Uisce, das Finn und mich in Doves Unterstand belauert hat.
    Sean zeigt keinerlei Reue. »Ich glaube, ich mache es doch lieber selbst.«
    »Du wolltest doch, dass ich hier reinkomme«, erinnere ich ihn. »Muss ich jetzt das Gefühl haben, dass du mir nicht traust?«
    »Es liegt nicht nur an dir«, erwidert er.
    Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu. »Gut, pass auf. Ich halte Corr und du bandagierst ihm das Bein. Wenn es dann nicht richtig ist, bist du ganz allein dran schuld. Und jetzt nimm endlich deine Jacke, ich hab keine Lust, sie noch länger zu halten.«
    Sean mustert mich nachdenklich, als versuche er zu entscheiden, ob ich es ernst meine oder nicht. Oder vielleicht versucht er auch nur zu entscheiden, ob ich dazu in der Lage bin oder nicht.
    »Gut«, sagt er schließlich. Wie zur Warnung hält er eine Hand vor Corrs Gesicht und wir tauschen – er nimmt mit der anderen Hand seine Jacke und ich greife Corrs Führstrick. Sean wirft sich flüchtig die Jacke über und wird wie durch Zauberhand wieder zu dem Sean Kendrick, den ich aus der Fleischerei kenne. »Du solltest seine Zähne im Auge behalten«, rät er.
    Meine Stimme klingt ungewollt sarkastisch. »Das habe ich gesehen.«
    »Das gestern Morgen war nicht Corr«, sagt Sean. »Man muss sie kennen. Man darf nur benutzen, was wirklich nötig ist. Man kann nicht jedes beliebige Pferd im Ozean mit allen Glocken von Thisby behängen. Sie reagieren alle unterschiedlich. Sie sind keine Maschinen.«
    »Soll das heißen, David Prince wäre noch am Leben, wenn du auf Corr gesessen hättest?« Aber die Antwort darauf kennen wir beide, also frage ich weiter. »Warum?«
    Sean hockt sich neben Corrs Bein und streicht mit der Hand darüber, um dem Hengst zu zeigen, dass er da ist. »Erkennst du etwa nicht, wann deine Stute Angst hat?«
    Natürlich erkenne ich das. Schließlich bin ich auf ihrem Rücken und an ihrer Seite groß geworden. Ich spüre, wann sie unglücklich ist, genau wie sie es umgekehrt bei mir spürt.
    »Hast du deine Kündigung zurückgenommen?«, frage ich.
    Ich blicke hoch, als die Lichter im Gebäude angehen und den Stall mit einem gelben Glühen erfüllen, das nicht ganz den Boden zu erreichen scheint. Sean ist jetzt viel schneller beim Anlegen der Bandage. Er arbeitet zügig, ohne sich zwischendurch in die Hand zu spucken, also muss das eine Methode gewesen sein, Corr ruhig zu halten, als er niemanden hatte, der ihm geholfen hat. Ist in diesem schicken Stall denn niemand bereit, Corr zu halten, während Sean arbeitet? Corr steht die ganze Zeit lammfromm da, doch sein Blick wirkt so durchtrieben wie der eines Ziegenbocks. Sean blickt nicht zu mir hoch, während er antwortet. »Malvern hat gesagt, ich kann ihm Corr abkaufen, wenn ich das Rennen gewinne.«
    »Heißt das, du hast sie zurückgenommen?«
    »Ja.«
    »Was ist, wenn du nicht gewinnst?«
    Sean sieht zu mir hoch. »Was ist, wenn du nicht gewinnst?«
    Darauf will ich nicht antworten, also feuere ich zurück: »Was machst du, wenn du gewinnst?«
    Er ist fertig mit dem Bandagieren, doch er bleibt neben Corrs Bein

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