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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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solchen Ort zu leben, es wert wäre, Benjamin Malvern zu sein.
    »Wen suchst du?«
    Ich starre noch eine Weile auf meinen Schatten, bevor ich die Richtung bestimmen kann, aus der die Stimme gekommen ist. Es ist der Pferdepfleger mit dem frisch gewaschenen Schimmel – man stelle sich eine Welt vor, in der Pferde gewaschen werden; wie soll ein Pferd an einem Ort wie diesem denn überhaupt erst schmutzig werden? –, der auf halbem Weg zum Stall stehen geblieben ist. Der Hengst stupst ihn in den Rücken, aber der Junge beachtet ihn nicht.
    »Sean Kendrick.«
    Es ist ein merkwürdiges Gefühl, seinen Namen laut auszusprechen.
    Ich halte seine Jacke hoch, als zähle das als Einladung. Mein Herz pocht leicht gegen mein Brustbein.
    »Wo ist Kendrick?«, ruft der Pfleger einem Mann zu, der gerade aus einem der kleineren Gebäude getreten ist. Sie überlegen zusammen. Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. Ich hätte nicht gedacht, dass man mich hier ernst nehmen würde.
    »Stall«, sagt der mit dem Schimmel schließlich. »Wahrscheinlich. Hauptstall.«
    Sie fragen nicht, was ich von ihm will, und versuchen auch nicht, mich wegzuschicken, aber sie mustern mich beide mit einem zugleich hilfsbereiten und neugierigen Blick, als erwarteten sie nun irgendetwas von mir. Ich sage bloß Danke und trete durch das Tor, das ich sorgfältig wieder hinter mir schließe, denn ich weiß, dass es auf einem solchen Hof das schwerwiegendste Verbrechen überhaupt wäre, ein Tor offen zu lassen.
    Ich tue so, als würde ich die Blicke der Pfleger nicht auf mir spüren, als ich in den Stall gehe. Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Gebäude überhaupt ein Stall ist, trotz der Pferde, die darin stehen, denn es ist auf dieselbe Art imposant wie die St.-Columba-Kirche. Es hat die gleiche hohe Decke, die gleichen Steinschnitzereien, die gleiche hallende Akustik. Was fehlt, ist der nachträglich hinzugefügte Beichtstuhl mit seinem unsinnigen Vorhang. Aus irgendeinem Grund erinnert mich der Stall an den riesigen Felsen, auf dem die Reiter ihr Blut vergossen haben.
    Mit Mühe reiße ich meinen Blick von der verzierten Decke los. Ich will nicht allzu ehrfürchtig wirken, denn auf der Stallgasse striegelt noch immer der Junge den Fuchs und ich möchte nicht aussehen wie Finn, wenn er seine riesigen Glupschaugen macht. Sowohl der Junge als auch das Pferd wirken sauber und professionell, sodass ich mir in meiner Aufmachung, zusammengewürfelt aus Hose, Hemdbluse und Kapuzenpullover, neben ihnen schmuddelig und verwahrlost vorkomme. Ich zeige auf die Stelle, wo einer der beiden Stricke an der Wand befestigt ist, was die übliche Art ist zu fragen: Darf ich da drun-
    ter durchkriechen?, und der Pfleger nickt. Seine Miene ist genauso fragend und neugierig wie die der anderen beiden. Gerade als ich beschließe, dass sie sich nur so für mich interessieren, weil sie mich noch nie hier gesehen haben, sagt er: »Ich finde, du hast echt Mumm, dass du mit deiner Stute das Rennen reiten willst.«
    So wie er es sagt, klingt es wie ein Kompliment, aber ganz sicher bin ich mir nicht.
    »Danke«, sage ich für den Fall, dass es wirklich so ist. »Weißt du vielleicht, wo Sean Kendrick ist?« Wieder halte ich seine Jacke hoch. Es erscheint mir wichtig, jedem zu zeigen, dass ich einen triftigen Grund habe, Sean hier aufzusuchen.
    Der Junge deutet mit dem Kinn den Gang hinunter, vorbei an einer nicht enden wollenden Reihe wunderschöner, blitzsauberer Boxen mit Steinbogen über den Türen, als sei jede einzelne von ihnen ein Schrein und als seien die Pferde darin Gottheiten. Ich laufe an ihnen vorbei, bis ich ganz am Ende eine Box mit fahlweißen statt eisernen Gitterstäben entdecke und dahinter den unverwechselbaren Kopf des roten Hengstes.
    Leise nähere ich mich der Box und zuerst denke ich, dass Sean gar nicht hier ist. Das ist eine Vorstellung, die mich aus irgendeinem Grund unglaublich wütend macht – bis ich ihn im Schatten zu Corrs Hufen hocken sehe, wo er ihm die Beine bandagiert. Er geht sehr langsam dabei vor – er legt die Bandage einmal um Corrs Bein, dann spuckt er sich in die Hand und berührt damit Corrs Rumpf über sich. Dann wickelt er sie ein weiteres Mal herum, bevor er wieder spuckt. Corrs Hals ist die ganze Zeit gewölbt, während er aus dem kleinen Fenster seiner Box nach draußen sieht. Er hat einen Blick auf nackte Felsen mit ein wenig Gras dazwischen. Mir kommt die Aussicht ziemlich trostlos vor, aber ihm scheint sie zu gefallen.

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