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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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hocken. »Dann kaufe ich mit meinen Ersparnissen und meinem Anteil des Gewinns Corr und ziehe zurück in das Haus meines Vaters draußen an der Westklippe und lasse nur noch den Wind mein Schicksal bestimmen.«
    Vielleicht liegt es daran, dass ich die Schönheit der Malvern-Ställe gerade zum ersten Mal bewundern durfte, aber ich kann es kaum glauben. »Würde dir das alles hier denn nicht fehlen?«
    Jetzt sieht er wieder zu mir hoch und aus diesem Winkel wirkt es, als hätte ihm jemand Kohle in die Haut unter den Augen gerieben. »Was sollte mir denn fehlen? Das hier war nie mein Zuhause, also warum sollte es mir fehlen?« Als er das sagt, entweicht ihm ein tiefer Seufzer, was einem Geständnis so nahekommt, wie ich es noch nie bei ihm erlebt habe. Dann stemmt er sich auf die Füße. »Und was ist mit dir, Kate Connolly? Puck Connolly?«
    Aus dem Klang seiner Stimme schließe ich, dass dieser Versprecher
    volle Absicht war, weil ihm die Eindringlichkeit gefällt, die er seinen Worten verleiht, und eine nervöse, aber angenehme Wärme breitet sich in mir aus.
    »Was soll mit mir sein?«
    Wir tauschen wieder, diesmal den Eimer gegen das Halfter, und ich trete einen Schritt zurück.
    »Was machst du, wenn du das Skorpio-Rennen gewinnst?«
    Ich blicke in den Eimer hinunter.
    »Ach, ich kaufe mir erst mal vierzehn neue Kleider, dann lasse ich eine Straße bauen und nach mir benennen und dann probiere ich mich bei Palsson einmal komplett durch die Auslage.«
    Obwohl ich nicht hochsehe, spüre ich seinen Blick auf mir. Es ist ein Blick von unglaublichem Gewicht.
    Er fragt: »Wie lautet die wahre Antwort?«
    Doch als ich über die wahre Antwort nachdenke, fällt mir wieder ein, was Pfarrer Mooneyham gesagt hat, über Gabe, der in seinem Beichtstuhl gesessen und geweint hat, und das ruft mir in Erinnerung, dass, egal, wie gut dieses Rennen auch für mich ausgehen wird, Gabe danach immer noch in ein Boot steigen und davonsegeln wird. Also fauche ich: »Glaubst du etwa, ich binde jedem so einfach meine Geheimnisse auf die Nase?«
    Er ist vollkommen unbeeindruckt. »Ich wusste nicht, dass das ein Geheimnis ist«, erwidert er. »Sonst hätte ich nicht gefragt.«
    Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil er selbst schließlich so ehrlich geantwortet hat. »Tut mir leid«, sage ich. »Meine Mutter hat immer gesagt, dass ich bei meiner Geburt aus einer Flasche Essig gekrochen bin, nicht aus ihrem Bauch, und dass mein Vater und sie mich drei Tage lang in Zucker wälzen mussten, um die ganze Säure loszuwerden. Ich versuche wirklich, mich zu benehmen, aber irgendwie kommt der Essig doch immer wieder durch.« Wenn Dad mal einen seiner seltenen Momente hatte, in denen er zum Scherzen aufgelegt war, erzählte er Gästen gern, die Feen hätten mich auf ihre Schwelle gelegt, weil ich ihnen zu oft in die Finger gebissen hätte.
    Aber meine Lieblingsgeschichte ist eine, die Mum manchmal erzählte und der zufolge es vor meiner Geburt sieben Tage und sieben Nächte lang ununterbrochen geregnet hat, und als sie schließlich raus in den Garten ging, um den Himmel zu fragen, warum er denn weine, sei ich aus den Wolken gefallen und gleich darauf die Sonne herausgekommen. Mir hat die Vorstellung, eine solche Plage zu sein, dass es selbst das Wetter beeinflusst, immer gefallen.
    »Du musst dich nicht entschuldigen«, wehrt Sean ab. »Ich war zu forsch.«
    Jetzt fühle ich mich sogar noch schlechter, weil dies das Letzte ist, was ich damit sagen wollte.
    Neben Sean verlagert Corr plötzlich sein Gewicht und seine Kopfhaltung erinnert mit einem Mal mehr an einen Wolf als an ein Pferd. Etwas in seinem Blick veranlasst Sean, sich in die Hand zu spucken und Corr zurück an die Wand zu drängen.
    Ich fürchte, dass er mich als Nächstes aus der Box schickt, also frage ich schnell: »Was soll das mit der Spucke? Das habe ich jetzt schon öfter bei dir gesehen.« Dieses Interesse muss ich nicht vortäuschen. Das Spucken weckt Erinnerungen an eine Angewohnheit von mir, die mir die Erwachsenen in meinem Leben mit viel Zeit und Mühe austreiben mussten.
    Sean blickt auf seine Finger, als wolle er gleich noch einmal spucken, um es mir zu demonstrieren, dann aber öffnet und schließt er bloß die Hand. Nachdenklich betrachtet er Corr, als würde das Pferd ihm einen Hinweis darauf liefern, wie er seine Antwort formulieren soll. »Es ist... Spucke. Salz. Ich. Es ist ein Teil von mir, eine Möglichkeit für mich, irgendwo zu sein. Wenn der Rest von mir es

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