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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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seiner Mähne und kann mich nur mit Mühe auf dem Felsen halten, als Corr auf der Stelle tänzelt. Schließlich stemme ich mich auf seinen Rücken und kralle mich mit beiden Händen in seiner Mähne fest wie ein kleines Kind.
    Sean sagt: »Ich gebe dir jetzt die Zügel. Du musst ihn halten, während ich aufsteige, und zwar ganz allein. Kann ich mich darauf verlassen, dass du das schaffst?«
    Sein Tonfall lässt mich erahnen, wie viel er in diesem Moment riskiert, indem er mich auf dieses Pferd steigen lässt und mir die Zügel übergibt.
    »Konnten andere ihn halten?«
    Sein Gesicht bleibt unverändert. »Es gibt keine anderen. Du bist die Einzige.«
    Ich schlucke. »Ich kann ihn halten.«
    Sean zeichnet mit dem Fuß einen Halbkreis in den Sand vor Corr und spuckt hinein. Dann schlingt er ihm rasch die Zügel über den Kopf und gibt sie mir. Wenn ich Corr noch nie gesehen oder berührt hätte, würde mir spätestens jetzt bewusst werden, wie groß er ist, wie anders als Dove. Ich kann seine unglaubliche Kraft durch die Zügel spüren. Sie sind wie Spinnweben, die ein Schiff vor Anker halten sollen. Er testet sofort seine Grenzen und ich zeige sie ihm. Ich will nicht, dass er es ernsthafter versucht.
    Im nächsten Moment sitzt Sean hinter mir und die unerwartete Nähe lässt mich zusammenfahren, seine Brust plötzlich warm an meinem Rücken, seine Hüfte an meine geschmiegt.
    Ich drehe den Kopf, um ihn etwas zu fragen, und er zuckt vor meinem Gesicht zurück, mit einem Mal so nah. »Oh, entschuldige«, murmele ich.
    »Willst du die Zügel behalten?« Er ist schwarz und weiß in diesem Licht und seine Augen verschwinden in den Schatten unter seinen Brauen.
    Ich nicke. Aber Corr will nicht vorwärtsgehen; er läuft bloß rückwärts und schüttelt den Kopf. Als ich ihn antreibe, heben sich seine Vorderhufe ein Stück vom Boden. Er steigt nicht richtig, aber es ist eine Warnung an mich. Sean sagt etwas, was der Wind mit sich fortträgt.
    »Was?«
    »Mein Kreis«, sagt Sean, direkt in mein Ohr, sein Atem warm. Ein Schauer durchfährt mich, obwohl der Wind nicht kälter ist als zuvor. »Er will die Linie nicht übertreten. Lenk ihn drum herum.«
    Sobald wir den Kreis hinter uns gelassen haben, ist Corr wie ein Vogel im Sturm. Ich weiß nicht, ob er Schritt geht oder trabt, nur, dass wir uns bewegen und keine Richtung unmöglich scheint. Als Corr
    zur Seite ausbrechen will, presse ich ihm meine Schenkel in den Bauch, um ihn gerade zu halten, und Seans Arme greifen um mich herum nach seiner Mähne.
    Ich weiß, dass Sean damit nur sich selbst Halt verschaffen will, nicht mir, trotzdem fühle ich mich sofort sicherer. Ich drehe den Kopf und wieder lehnt er seinen zurück, um Abstand zwischen uns zu schaffen. Aber ich weiß nicht mehr, was ich sagen wollte.
    »Was?« Seine Lippen formen das Wort, auch wenn ich es nicht richtig höre. »Soll ich –« Er beginnt seine Arme zurückzuziehen und ich schüttele den Kopf. Meine Haare peitschen mir ins Gesicht und er zuckt zusammen, als auch er sie zu spüren bekommt. Wieder sagt er etwas und wieder entführt der Wind seine Stimme.
    Als Sean begreift, dass ich ihn nicht gehört habe, beugt er sich abermals dicht an mein Ohr. Ich weiß nicht, wann ich einem anderen Menschen jemals so nah war. Ich spüre, wie sich seine Brust hebt und senkt, wenn er atmet. Seine Worte sind warm in meinem Ohr. »Hast du Angst?«
    Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment fühle, aber Angst ist es nicht.
    Ich schüttele den Kopf.
    Sean greift meinen Pferdeschwanz, seine Finger streifen meinen Nacken und er stopft die Haare in meinen Kragen, wo der Wind sie nicht erwischt. Er weicht meinem Blick aus. Dann legt er wieder die Arme um mich und drückt Corr die Waden in die Seite.
    Corr macht einen Satz in die Luft.
    Wenn Dove aus dem Trab angaloppiert, erkenne ich den Unterschied manchmal nur daran, dass ihre Hufe nicht mehr im Zwei-, sondern im Dreitakt aufschlagen.
    Doch als Corr anfängt zu galoppieren, fühlt es sich an, als habe er soeben eine neue Gangart erfunden, etwas, was so viel schneller ist als alles, was ich kenne, dass es einen vollkommen anderen Namen verdient hätte. Der Wind heult mir in den Ohren. Steine lugen wie Wachposten aus der ungleichmäßigen Oberfläche der Klippe hervor, aber
    sie sind kein Problem für Corr. Sein Hufschlag ändert sich kaum und schon liegen sie weit hinter uns. Jeder seiner Galoppsprünge fühlt sich an, als würde er uns eine Meile weit tragen. Die Insel wird zu

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