Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
oder mit Mums Mehl die Küche vollstaubten. An dem Tag, als sie beide in das Boot stiegen, war ich diejenige, die für sie backte, während Gabe Mum beim Packen zusah und Finn, unglücklich darüber, dass sie fortgingen, schmollte.
    Heute, am Morgen des Skorpio-Rennens, ist es, als sei ich diejenige, die mit dem Boot rausfährt. Finn überprüft sorgfältig, ob ich alles eingepackt habe, Gabe wienert meine Stiefel und ich binde mir die Haare zum Pferdeschwanz und denke: Ist es wirklich so weit? Wir können uns Zeit lassen; am Morgen finden die kleineren, weniger wichtigen Rennen statt und so muss ich erst am frühen Nachmittag mit Dove an den Strand. Ich greife in die Keksdose, um ein bisschen Geld mitzunehmen, für den Fall, dass ich etwas für Dove kaufen muss. Meine Finger ertasten den kühlen, leeren Boden der Dose. Es ist nichts mehr übrig.
    Als müsste ich an den Grund erinnert werden, warum ich dieses Rennen überhaupt reite. Ich spüre ein nervöses Prickeln im Nacken.
    Als wir uns schließlich auf den Weg machen, sagt Finn, dass er mir Mittagessen bringen will – nicht dass ich im Moment an Essen auch
    nur denken könnte, denn meine Eingeweide scheinen sich in ein Schlangennest verwandelt zu haben, was die Verdauung nicht eben fördert –, und Gabe folgt mir aus dem Haus.
    »Puck«, sagt er. »Tu es nicht.«
    Er lehnt sich über den Zaun und sieht mir dabei zu, wie ich Doves Gurt über den Sattel werfe. In diesem Moment sieht er Dad sehr ähnlich, in diesem Licht, das die kleinen Fältchen sichtbar macht, die der Schlafmangel unter seinen Augen hinterlassen hat. Er beginnt wie einer der Fischer auszusehen mit seinen zerknitterten Augenwinkeln.
    »Ich glaube, dafür ist es ein bisschen spät.« Ich blicke ihn über Doves Rücken hinweg an. »Sag mir eine andere Möglichkeit, wie wir das Haus retten können, und ich bleibe zu Hause.«
    »Wäre es denn so schlimm, dieses Haus zu verlieren?«
    »Ich mag es. Es erinnert mich an Mum und Dad. Und es geht nicht nur um das Haus. Weißt du nämlich, was wir als Erstes verkaufen müssen, wenn das Haus weg ist? Dove. Ich kann sie nicht –« Ich halte inne und rubbele fieberhaft einen Fleck von ihrem Sattel.
    »Sie ist nur ein Pferd«, sagt Gabe. »Und jetzt guck mich nicht so an. Ich weiß, dass sie dir viel bedeutet. Aber du kannst auch ohne sie leben. Du kannst dir hier einen Job suchen und ich schicke euch Geld und dann ist alles in Ordnung.«
    Ich vergrabe meine Finger in Doves Mähne. »Nein, das ist es nicht. Ich will mir nicht einfach einen Job suchen und arbeiten, damit alles in Ordnung ist. Ich will Dove und ich will Platz zum Atmen und ich will nicht, dass Finn in der Fabrik schuften muss. Ich will nicht in einem winzigen Kämmerchen in Skarmouth leben mit Finn in einem winzigen Kämmerchen nebenan und so alt werden.«
    »Dann habe ich bis nächstes Jahr bestimmt genug Geld verdient, dass ihr aufs Festland nachkommen könnt. Da gibt es bessere Jobs.«
    »Ich will aber nicht aufs Festland nachkommen. Ich will keinen besseren Job. Kapierst du es denn nicht? Ich bin glücklich hier. Nicht jeder will unbedingt von hier weg, Gabe! Ich will genau hier sein.
    Wenn ich nur Dove haben kann und ein bisschen Platz für mich selbst und hin und wieder einen Sack Bohnen, dann bin ich damit zufrieden.«
    Gabriel blickt auf seine Füße und kaut auf seiner Unterlippe, so wie er es damals immer getan hat, wenn Dad ihn zu einem ernsthaften Gespräch beiseitenahm und er sich in die Ecke gedrängt fühlte. »Und das ist es wert, dein Leben dafür zu riskieren?«
    »Ja. Ich glaube, das ist es.«
    Er knibbelt an einem losen Splitter auf der obersten Zaunlatte. »Du hast noch nicht mal darüber nachgedacht.«
    »Das muss ich auch nicht. Wie wär's damit? Ich reite das Rennen nicht und du bleibst hier.« Aber noch während ich es ausspreche, wird mir klar, dass er Nein sagen wird und ich das Rennen so oder so reiten würde.
    »Puck«, sagt Gabe. »Das kann ich nicht.«
    »Gut«, erwidere ich, während ich das Tor aufschiebe und Dove an ihm vorbeiführe, »dann ist ja alles geklärt.«
    Aber ich bin nicht wütend deswegen. Seine Worte versetzen mir den altbekannten Stich, aber ich bin nicht überrascht. Es ist, als hätte ich schon immer, seit unserer Kindheit, gewusst, dass er uns eines Tages verlassen würde, und als hätte ich es schlicht ignoriert. Und ich glaube, auch Gabe war, als er dieses Gespräch anfing, klar, dass es ihm nicht gelingen würde, mich und Dove vom Strand

Weitere Kostenlose Bücher