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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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fernzuhalten. Wir mussten es bloß beide einmal aussprechen. Als ich an ihm vorbeigehe, hält Gabe mich am Arm fest. Dove bleibt rücksichtsvoll stehen, als er mich an sich zieht. Er sagt nichts. Diese Umarmung erinnert mich an die vielen Umarmungen aus der Zeit, als wir noch jünger waren, als sich die sechs Jahre Altersunterschied anfühlten wie eine unüberwindbare Kluft, ich noch ein Kind, er schon erwachsen.
    »Du wirst mir fehlen«, murmele ich in seinen Pullover. Zur Abwechslung riecht er mal nicht nach Fisch; er riecht nach dem Heu, das er am Abend zuvor für mich geschichtet hat, und dem Rauch des Scheiterhaufens.
    »Tut mir leid, dass ich das alles so vermasselt habe«, erwidert er. »Ich hätte euch beiden mehr vertrauen sollen.«
    Ich wünschte, er hätte das schon früher gesagt, bevor er traurig und voller Sorge um mich war. Aber ich bin auch so dankbar dafür.
    Gabe lässt mich los. »Ich gehe schon mal nachsehen, wo sie die Rennfarben ausgeben.« Er blickt mich an. »Du siehst gerade aus wie Mum.«

58
    Sean Heute ist der erste November und das bedeutet, heute wird jemand sterben.
    Ich höre ein Klopfen an meiner angelehnten Tür und dann öffnet sie sich ein Stück.
    »Wie geht es dem Helden von Skarmouth so kurz vor dem großen Rennen?«
    Ich mache die Augen auf und wende mich George Holly zu, der im Türrahmen steht. Er lässt den Blick über die Einrichtung meiner kleinen Kammer schweifen; nichts außer einem Bett und einem Waschbecken und einem winzigen Herd unter der Dachschräge, alles in lavendelblaues Morgenlicht getaucht.
    Ich nicke ihm zu, zur Begrüßung und gleichzeitig als Aufforderung hereinzukommen.
    »Ganz schön trostlos hier«, bemerkt er. »Und Sie wirken auch etwas trostlos.« Nach kurzem Zögern zieht er eine Kiste mit Konservendosen neben dem Waschbecken hervor und setzt sich darauf, die langen Beine angewinkelt. Er legt seine rote Schiebermütze auf seinen Schoß und streichelt sie, als wäre sie ein Tier.
    »Ich bin zu unruhig«, sage ich und schließe die Augen. »So kann ich nicht zu Corr in den Stall gehen. Er würde sofort spüren, wie ich mich fühle, und dann kann ich mir den Weg zum Strand gleich sparen.«
    »Ist es wegen des Rennens?«, fragt Holly. »Haben Sie Angst?«
    »Ich habe noch nie Angst davor gehabt«, erwidere ich, ohne die Augen zu öffnen.
    »Liegt es vielleicht daran, dass diesmal für Sie Corr auf dem Spiel steht?«, fragt Holly. »Was wollen Sie wirklich, Sean?«
    Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen und suche in meinem Inneren nach der Ruhe, die dort irgendwo verborgen liegen muss. Nach der Selbstsicherheit, mit der ich all die Jahre zuvor in das Rennen gegangen bin. Mit der ich jeden Morgen auf jedes Pferd steige.
    »Geht es um Freiheit? Dann vergessen Sie das Rennen. Kommen Sie mit mir in die Staaten und ich mache Sie zu meinem Partner. Nicht zum Stallmeister. Nicht zum Cheftrainer. Sie könnten kommen und gehen, wie Sie wollen.« Als ich immer noch nichts sage, fügt Holly hinzu: »Sehen Sie? Genau. Dann haben Sie mich wohl angelogen, als Sie mir gesagt haben, dass es Ihnen um die Freiheit geht. Ich denke, wir sind uns einig, dass das Ganze überhaupt nichts mit Freiheit zu tun hat. Ich würde sagen, das ist ein Fortschritt.«
    Ich wende mein Gesicht ab. Vom Hof dringt die übliche Hektik des Rennmorgens zu uns herauf und ich bin nicht dabei.
    »Sie sagen also, es geht Ihnen um den roten Hengst. Laut malvern-schem Recht verlieren Sie ihn, wenn Sie das Rennen verlieren, gleich mit, ja? Aber Sie haben dieses Rennen vier von sechs Mal gewonnen, sind das etwa keine guten Voraussetzungen? Und das wiederum bringt mich zu dem Schluss, dass es noch um etwas völlig anderes geht.«
    Ich öffne die Augen. Holly rutscht unter meinem Blick auf der Kiste hin und her, sodass das Holz knarrt.
    »Ich habe zweimal gegen Ian Privett auf Penda verloren. Im dritten Jahr ist er gestürzt und hat Penda verloren, aber dieses Jahr hat er ihn wieder. Und Blackwell hat Margot und –«
    »- die ist verflucht schnell –«, ergänzt Holly und nimmt mir die Worte aus dem Mund.
    »- und dann ist da noch die Scheckstute. Ich kenne sie nicht gut, aber ich glaube, vor der müssen wir uns alle in Acht nehmen. Ich habe das Gefühl, ich werde alles verlieren.«
    Holly kratzt sich im Nacken und blickt in den Schatten unter mei-
    nem schmalen Bett. »Dieses ›Alles‹ scheint mir der Kern der Sache zu sein. Mit ›alles‹ meinen Sie nicht zufällig Kate Connolly? Ah ja, ich sehe

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