Rot wie das Meer
Leuten hindurch in Richtung des Pfads, der zum Strand hinunterführt. Bevor ich mich auf den Weg nach unten mache, werfe ich noch einen Blick über die Schulter zu Sean, der nun mit Dove wie auf einer weiten Lichtung inmitten der Menschen steht und mich noch immer ansieht. Ich spüre die Insel unter meinen Füßen und Seans Lippen auf meinen und frage mich, ob das Glück wohl heute auf unserer Seite sein wird.
60
Puck Das Getümmel am Strand ist nicht so groß, wie ich befürchtet hatte. Gerade gibt es eine Pause zwischen zweien der kleineren Rennen und nur die Capaill Uisce für die nächsten Wettkämpfe sind hier. Die Zuschauer, die noch vor Kurzem hier unten waren, haben sich auf die Klippen zurückgezogen, wo sie sich so weit, wie sie es wagen, an den Rand drängen. Der Himmel über ihnen hat sich zu einem tiefen, tiefen Blau aufgeklärt, wie es nur der November hervorbringt, und der Ozean zu meiner Rechten ist so dunkel wie die Nacht.
Ich versuche, nicht daran zu denken, dass ich schon bald hier unten reiten werde, denn dann würde ich auf der Stelle erstarren.
Schnell mache ich den Stand der Rennleitung im Schutz der Klippe aus; zwei Männer mit Melonen sitzen hinter einem Tisch, auf dem, ordentlich gefaltet, die grellbunten Rennfarben bereitliegen. Ich eile über den Sand und beuge mich zu ihnen vor, um nicht schreien zu müssen.
»Ich brauche meine Farben«, sage ich. Ich erkenne den Mann auf der rechten Seite; er sitzt in der Kirche nicht weit von uns entfernt.
»Keine mehr da für Sie«, erwidert der andere Mann, die verschränkten Arme auf einen Stapel vor sich gestützt.
»Wie bitte?«, frage ich höflich.
»Keine mehr da. Wiedersehen.« Dann wendet er sich dem Mann an seiner Seite zu. »Was sagst du zu diesem Wetter? Warm für November, oder?«
»Sir«, sage ich.
»Nicht dass ich was gegen Wärme hätte, aber es würde mich nicht wundern, wenn uns das eine Mückenplage beschert«, erwidert der andere.
»Sie können nicht einfach so tun, als wäre ich nicht da«, sage ich.
Doch das können sie. Sie halten weiter ihren gekünstelten Small Talk und ignorieren mich, bis ich meine Wut und Scham hinunterschlucke und mich geschlagen gebe. Ich teile ihnen mit, dass sie Bastarde sind, weil sie sowieso nicht reagieren werden, und marschiere davon. Auf dem Klippenpfad treffe ich Gabe, der gerade auf dem Weg nach unten ist. Der Wind hat sein Haar zu einem wilden Wust zerzaust.
»Wo sind denn deine Rennfarben?«, will er wissen.
Ich hätte es am liebsten nicht zugegeben, dann aber tue ich es doch. »Sie wollen mir keine geben.«
»Was?«
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Ist doch egal. Dann reite ich eben ohne.« Aber ganz egal ist es nicht.
»Ich rede mit ihnen«, sagt Gabe. Ich bin froh über seine offensichtliche Empörung, auch wenn ich nicht glaube, dass sie etwas ändern wird. Aber manchmal hilft es eben schon, wenn man seine Wut mit einem anderen Menschen teilt. »Das ist doch lächerlich.«
Ich sehe ihm nach, während er den Pfad hinunter- und durch den Sand stapft, doch ich erkenne schon an den Gesichtern der Männer, als sie ihn auf sich zukommen sehen, dass er dieselbe Antwort bekommen wird. Ich versuche mir einzureden, dass es egal ist. Dann sehe ich eben nicht aus wie alle anderen. Ich muss nicht dazugehören.
»Zum Teufel mit denen«, flucht Gabe, als er zurückkommt. »Stures Inselpack!«
In unserer Nähe verkündet eine Stimme, dass alle bis auf die Teilnehmer des letzten Vorrennens den Strand zu verlassen haben, denn bald ist es Zeit für das große Rennen.
Für uns.
61
Sean Die Nachmittagssonne scheint auf den Strand, aber sie spendet keine Wärme. Der Wind zerzaust die Oberfläche der blauschwarzen See zu unzähligen Schaumkrönchen. Oben auf der Klippe zeichnen sich vor dem Himmel die Massen von Zuschauern ab, die auf den blassen Streifen Sand zwischen ihnen und dem Ozean hinunterblicken.
Im Wasser, weit weg von der Küste, sehe ich hin und wieder den Kopf eines Capaill Uisce auftauchen, das die Novemberströmung auf die Insel zutreibt. Die Tiere, die wir gefangen haben, winden sich unter ihren Zaumzeugen, die mit Glöckchen, roten Bändern, Eisen, Stechpalmenzweigen, Gänseblümchen und Gebeten behängt sind. Die Wasserpferde sind hungrig und niederträchtig, boshaft und wunderschön, sie hassen und sie lieben uns.
Zeit für das Skorpio-Rennen.
Ich bin lebendig, so lebendig.
Corr unter mir ist rastlos vor mühsam zurückgehaltener Kraft. Die See singt zu ihm,
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