Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
nichts. Nichts, was darauf hinweist, dass ich mich nicht mit Dove anmelden darf.
    Schließlich reiche ich Peg die Münzen. »Danke«, sage ich.
    »Willst du das behalten?«, fragt Peg mit einem Nicken in Richtung Regelblatt. Es ist mir egal, aber ich nicke. »In Ordnung«, sagt sie. »Dann ist es jetzt offiziell.«
    Es ist offiziell.
    Als ich mich zum Ausgang dränge und nach draußen in die Dunkelheit trete, atme ich ein paarmal tief die kalte Luft ein. Der Fischgestank ist einem schwachen Abgasgeruch gewichen, aber nach all dem Schweiß und dem rohen Fleisch im Laden ist die Luft hier geradezu paradiesisch frisch. Mir schwirrt der Kopf, ich fühle mich beschwingt und mir ist gleichzeitig schlecht vor Angst. Plötzlich ist es, als könne ich jede noch so winzige Unebenheit auf der Straße vor mir sehen, jedes bisschen Rost am Geländer der Kaimauer, jedes Kräuseln auf der Wasseroberfläche. Alles ist schwarz – der endlose Himmel und das unergründliche Wasser – und buttergelb – die Straßenlampen und das Licht, das aus den Fenstern der Geschäfte fällt.
    Ein paar Meter von mir entfernt höre ich Fetzen einer Diskussion und erkenne Sean Kendricks Jacke. Ihm gegenüber steht Mutt Malvern, der neben Sean klobig und verschwitzt wirkt. Ein paar Leute sind in der Nähe stehen geblieben, woraus ich schließe, dass die beiden keine freundliche Unterhaltung führen.
    Der Anblick erinnert mich an eine Schar kleiner Vögel, die es mit
    einer Krähe aufnehmen wollen. So etwas habe ich schon des Öfteren auf den Feldern beobachtet, wenn die Krähe ihren Nestern zu nahe gekommen ist oder auf andere Weise ihren Unmut erregt hat. Die Vögel stoßen dann wild zeternd auf die Krähe herab, die einfach bloß dasteht, dunkel, reglos und vollkommen unbeeindruckt.
    Was ich sehe: Sean und Mutt, Erbe des größten Vermögens auf der Insel, und Mutts Spucke auf Seans Stiefeln.
    »Hübsche Stiefel«, höhnt Mutt. Er blickt auf sie hinunter, aber Sean Kendrick tut es ihm nicht gleich. Er blickt Mutt mit demselben unbeteiligten Ausdruck an, der mir schon in der Fleischerei bei ihm aufgefallen ist. Was ich dagegen in Mutts Gesicht sehe, erfüllt mich mit Entsetzen und Faszination gleichzeitig. Es ist keine Wut, aber etwas ganz Ähnliches.
    Nach einem langen Augenblick wendet Sean sich ab, um zu gehen.
    »He«, sagt Mutt. Auf seinem Gesicht liegt ein Lächeln, aber es bedeutet genau das Gegenteil. »Hast du es so eilig, zurück in den Stall zu kommen? Deine letzte Dosis ist doch erst ein paar Stunden her.« Er bewegt bedeutungsvoll die Hüften vor und zurück.
    Für diese Stichelei würde Sean mir leidtun, wenn ich nicht in dem Moment sein Lächeln sehen würde. Es ist nur der Anflug eines Lächelns, nicht länger als ein Sekunde – sein Mund scheint sich kaum zu bewegen, nur seine Augenwinkel werden ein bisschen schmaler –, es ist finster, verächtlich, dann ist der Moment vorüber. Und mir wird klar, dass das, was ich in beiden Gesichtern lese, wenn auch in vollkommen unterschiedlicher Form, purer Hass ist.
    »Sag was, Pferdeflüsterer«, drängt Mutt. »Hat mein kleines Geschenk dir gefallen?«
    Doch seine Fäuste sind geballt und ich glaube nicht, dass er Sean Kendrick nur zum Reden bringen will.
    Der sagt noch immer nichts. Wenn überhaupt, sieht er aus, als wäre er des Ganzen überdrüssig, und als Mutt schließlich anfängt, ihn zu umkreisen, geht er einfach davon.
    »Wag es nicht abzuhauen«, knurrt Mutt. Mit drei ungelenken
    Schritten hat er Sean eingeholt, packt ihn mit seiner riesigen Hand beim Oberarm und reißt ihn so mühelos herum wie ein kleines Kind. »Ich bin dein Boss. Mich lässt du nicht einfach so stehen.«
    Sean steckt die Hände in die Jackentaschen. »Wenn das so ist, Mr Malvern«, sagt er und seine Stimme ist so unheilvoll ruhig, dass Dr. Halsal, der die Szene beobachtet, die Stirn runzelt und im Fleischerladen verschwindet, »was kann ich für Sie tun?«
    Das verschlägt Mutt Malvern die Sprache und ich bin schon sicher, dass er im nächsten Moment auf Sean Kendrick einprügeln und das Kopfzerbrechen über eine gute Antwort auf später verschieben wird. Dann aber fällt ihm doch etwas ein. »Ich werde meinem Vater sagen, dass er dich entlassen soll. Wegen Diebstahls. Du weißt genau, wovon ich rede. Ich hatte dieses verdammte Pferd, Kendrick, und du hast es laufen lassen. Das wird dich deinen Job kosten.«
    Geld ist für die meisten Menschen auf dieser Insel nichts Selbstverständliches. Jemandem damit zu

Weitere Kostenlose Bücher