Rot wie das Meer
von Blut und das Pferd ist so rot wie das Meer.
Dieser Stall ist wie ein altes Tier, das älteste auf der ganzen Insel.
Überall hier finden sich Hinweise auf die Vergangenheit des Stalls. Die Boxen sind so groß, dass Malvern in allen, bis auf drei, Zwischenwände hat einbauen lassen, damit er mehr von den Sportpferden dort unterbringen kann, die er auf das Festland verkauft. Die Türrahmen sind aus Eisen geschmiedet, die Knäufe lassen sich nur gegen den Uhrzeigersinn drehen und über einem Durchgang steht etwas in roten Runen auf den Stein geschrieben. Der Boden der Teind- Box , die den Klippen am nächsten liegt, ist voller Blutflecken und die Wände sind mit Spritzern überzogen, die an Meeresschaum erinnern. Malvern hat die Box unzählige Male streichen lassen, doch sobald am nächsten Tag das kräftige, helle Morgenlicht hereinfällt, sind die Flecken wieder sichtbar. Einer davon, ein Stück neben dem Türriegel, hat die Form einer Menschenhand mit gespreizten Fingern.
In diesem Stall waren nicht immer edle Sportpferde untergebracht.
Ich bin fertig mit den Boxen, der Futterkammer und jeder anderen Aufgabe, die mir noch einfällt, und schalte das Licht aus, sodass nur noch ich im dunklen Bauch des Stalls übrig bin. Eins der Capaill Uisce gibt ein leises Schnalzen von sich und ein anderes antwortet. Obwohl ich die Pferde kenne, stellen sich bei diesem Laut die Härchen auf meinen Armen auf. Alle anderen Pferde im Stall sind plötzlich mucksmäuschenstill und lauschen angstvoll in die Dunkelheit.
Die Wahrheit ist, ich würde den Malvern-Hof gar nicht wollen, in keiner Form. Ich will Malverns reiche Kunden nicht, die jeden Oktober auf die Insel kommen, um sich das Rennen und seine Vollblüter anzusehen. Ich will weder sein Geld noch sein Ansehen noch die Möglichkeit, Thisby zu verlassen und wiederzukommen, wann immer es einem passt. Ich brauche keine achtzig Pferde, um mich gut zu fühlen.
Alles, was ich will, ist das: ein eigenes Dach über dem Kopf, ein eigenständiger Kunde bei Gratton und Hammond sein und, am aller-wichtigsten, Corr.
Zum ersten Mal seit neun Jahren schließe ich die Tür meines Zimmers hinter mir ab, im Kopf noch immer das Bild von Mutt Malverns dunkelrotem Gesicht und seinen geballten Fäusten. Lange Zeit liege ich wach, lausche dem Ozean, der rau gegen die Felsen der Nordwestküste der Insel donnert, und denke an die Scheckstute.
Schließlich schlafe ich ein und träume von dem Tag, an dem ich Mutt Malvern den Rücken kehren und gehen kann, ohne mich noch einmal umzudrehen.
12
Puck Der Morgen ist nasskalt und rosa, als ich mich auf den Weg zu Doves Weide mache. Zum Eierabfrieren, wie mein Vater es immer ausgedrückt hat, woraufhin meine Mutter sagte: Solche Ausdrücke bringst du also deinen Söhnen bei? Und genau so war es, denn gleich am nächsten Tag bemühte Gabe denselben Ausdruck. Trotzdem ist es nicht so eisig, dass der Matsch gefriert, dafür wird es nur alle paar Jahre mal kalt genug, und so schliddere und stapfe und stolpere ich zitternd vor Kälte über den Hof. Ich versuche, nicht darauf zu achten, wie nervös ich bin. Fast hätte es funktioniert.
Ich rufe Doves Namen und klopfe mit der Kaffeedose voll Futter gegen den Zaunpfahl. Es ist nicht viel – nach dem Training bekommt sie mehr –, aber es sollte reichen, um sie anzulocken. Ich sehe ihre schmutzverkrustete Kruppe hinter dem Unterstand hervorlugen. Noch nicht mal ihr Schweif bewegt sich, als ich abermals die Dose schüttele.
Ich zucke zusammen, als plötzlich Finn dicht neben mir sagt: »Sie spürt, dass du schlechte Laune hast, darum kommt sie nicht.«
Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu. Irgendwo in Skarmouth macht jemand Fleischpasteten, der Wind trägt ihren Duft zu uns herüber und mein Magen fängt an zu knurren und drängelt in die Richtung, aus der der Geruch kommt. »Ich hab keine schlechte Laune. Solltest du nicht die Küche sauber machen oder so?«
Finn zuckt mit den Schultern und steigt auf die unterste Zaunlatte. Ihm scheint die Kälte nicht das Geringste auszumachen. »Dove!«, ruft er fröhlich. Ich schicke Dove einen stummen Dank dafür, dass sie sich auch jetzt keinen Zentimeter vom Fleck rührt.
»Tja«, seufzt er, »sie ist eben ein nutzloses, altes Maultier. Was hast du heute vor?«
»Ich will mit ihr zum Strand«, erwidere ich. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Nase. Sie ist kalt – die Art von kalt, bei der man das Gefühl hat, sie könnte jeden Moment anfangen zu
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