Rot wie das Meer
Ziellinie schaffen?«
Ich sehe auf seine dämliche Teetasse mit den Resten von seinem dämlichen Tee darin. Ist normaler Tee vielleicht nicht interessant genug? Wer bitte trinkt denn seinen Tee mit Butter und Salz? Niemand außer gelangweilten alten Männern, die ihre Insel regieren, als wäre das Leben hier nicht mehr als eine Partie Schach. »Ich gehe davon aus, dass Sie gespannt darauf sind, was passieren wird«, entgegne ich. »Und immerhin haben Sie schon zwölf Monate gewartet.«
Malvern schiebt seinen Stuhl vom Tisch zurück und steht auf. Er zieht ein Blatt Papier aus der Tasche, faltet es auseinander und legt es auf den Tisch. Es ist ein offizielles Dokument. Ganz unten erkenne ich seine Unterschrift. Und die meines Vaters. »Ich bin nicht für meine Großzügigkeit bekannt, Kate Connolly.«
Ich antworte nicht. Wir blicken einander in die Augen.
Er schiebt mir das Blatt mit zwei Fingern über den Tisch zu. »Zeigen Sie das Ihrem großen Bruder. Ich komme es dann abholen, wenn Sie tot sind.«
17
Sean Sie haben alle Angst.
Ich sitze in einem Boot, halb nach hinten gewandt, und behalte meinen Schützling im Auge. Auf dem dunklen Rumpf des Boots prangen in weißer Schrift die Worte Schwarz wie die See. Dahinter schwimmt Fundamental, ein vielversprechender junger Hengst, ein Sportpferd, das auf dem Festland mit Sicherheit ein Vermögen einbringen wird. Eins der Tiere, von denen ich mir außerdem sicher bin, dass Malvern versuchen wird, es George Holly schmackhaft zu machen. Fundamentals braunes Fell wirkt im Wasser schwarz. Alle paar Schwimmzüge schnaubt er Wasser und Luft aus, aber er zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen. Auf diese Weise bewegen sich Boot und Pferd langsam durch die geschützte Bucht. Die Felsen an der Mündung sind ein wenig nach vorn geneigt, so als hätte ein Kind sie umgestoßen, und halten einen Großteil des Windes und den Wellengang ab. Das Dröhnen des Bootsmotors hallt von den Felsen wider.
Normalerweise würde ich so eine normale Trainingsstunde während des Rennmonats als Zeitverschwendung betrachten. Doch nach diesem seltsamen Morgen bin ich froh, ein paar Augenblicke zu haben, in denen ich einfach nur dasitzen und über all das nachdenken kann, was passiert ist. Ich habe immer noch keine Ahnung, was dieses Mädchen sich dabei gedacht hat.
Ich werfe einen Blick zur Mündung der Bucht hinüber. Daly, einer der neuen Männer, steht dort Wache. Über dem Lärm des Bootsmotors und Fundamentals prustenden Atemzügen kann ich nicht auch noch auf jagende Capaill Uisce lauschen. Aber diese Bucht ist
leicht zu sichern; dank der schmalen Mündung kann einer von uns Wache halten, während der andere das Training durchführt. Und Schwimmen ist eine so effiziente Methode, Muskelmasse aufzubauen, dass es das Risiko allemal wert ist. Daly trägt eine Schrotflinte, mit der er nicht viel ausrichten könnte, aber er hat ja immer noch eine gut funktionierende Lunge, was mir genug Zeit verschaffen sollte, Fundamental rechtzeitig aus dem Wasser zu holen.
Daly stammt vom Festland und er ist jung und unsicher. Mir persönlich sind die Unsicheren allerdings lieber als die Draufgänger. Er muss meine Augen für mich ersetzen und meine Augen wären im Moment fest auf die Mündung der Bucht gerichtet.
Fundamental schwimmt weiter. Ich war bei seiner Geburt dabei, als er nur ein Häufchen knubbliger Gelenke mit riesigen Augen war. Er sieht mich nicht an, konzentriert sich nur aufs Schwimmen. In seinen Adern strömt genug Capaill-Uisce- Blut , um ihm eine gewisse Zielstrebigkeit zu verleihen. Ich muss ihn genauso gut im Auge behalten wie Daly den Eingang der Bucht. Fundamental würde schwimmen, bis er vor Erschöpfung untergeht.
Morgen wird Malvern verlangen, dass ich ein Pferd für Mutt aussuche. Jedes Jahr aufs Neue fordert er am dritten Tag diese Entscheidung von mir und jedes Jahr aufs Neue habe ich Angst, dass er von mir verlangt, Mutt Corr zu überlassen.
Den Gedanken ertrage ich nicht.
Fundamental schüttelt den Kopf, als wäre es ihm unangenehm, wie ihm seine nasse Mähne am Hals klebt. Ich beuge mich über den Rand des Boots, um sicherzugehen, dass er nicht müde wird. Das Training im Wasser ist zwar schonender als an Land, aber ich will nicht, dass er sich zu sehr verausgabt; ich weiß, dass morgen ein paar Käufer kommen, um ihn zu begutachten.
Ich bin seltsam unruhig. Ich weiß nicht, warum. Ob es an dem Mädchen liegt, das meine jahrelange Routine durcheinandergebracht hat. Oder
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