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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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an Mutts Pisse in meinen Stiefeln. Oder daran, dass mir, als wir ans Ufer zurückkehren, irgendetwas am Wasserpegel an den Klip-
    pen falsch vorkommt. Ein winziges bisschen zu hoch vielleicht. Der Himmel ist hell und voller fluffiger Wölkchen; falls ein Sturm aufzieht, dann ist er sicherlich noch ein paar Tage entfernt.
    Aber ich werde nicht ruhiger.
    »Kendrick! Kendrick!«
    Mein Name, ein Schrei, halb verschluckt vom Dröhnen des Bootsmotors.
    Mir bleiben nur Sekunden, um zu begreifen.
    Daly steht auf dem schmalen, abschüssigen Stück Strand in der Nähe der Bootsrampe, weit weg von der Mündung der Bucht. Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, warum er seinen Posten verlassen hat. Der Schrei kam von ihm.
    Am Eingang der Bucht, wo kurz zuvor noch Daly gewesen ist, steht eine Gestalt. Mutt Malvern. Er starrt zu mir herüber. Nein – auf einen Punkt direkt vor mir im Wasser.
    Eine kleine Vertiefung im Wasser, nur zehn Meter von uns entfernt.
    Ich kenne diese Kuhle, diese unnatürliche Senkung in der Wasseroberfläche. Es sieht nach nichts aus, in Wirklichkeit aber ist diese Kuhle die Reaktion des Salzwassers auf einen massigen Körper, der blitzschnell unter der Oberfläche dahinrast.
    Wir haben keine Zeit, das Ufer zu erreichen.
    Fundamental schlägt mit den Hinterhufen aus, reißt den Kopf zurück.
    Dann geht er unter.
    Mutt Malvern steht reglos an der Mündung der Bucht.
    Ich stürze mich ins Wasser.

18
    Sean Ich schwimme nicht durch Wasser. Ich schwimme durch Blut. Es umwallt mich wie eine riesige Gewitterwolke, als eine meiner Hände Fundamentals Wirbelsäule ertastet. Mit der anderen umklammere ich eine Handvoll Ilexbeeren. Jahrelang musste ich kein einziges Mal auf sie zurückgreifen, um ein Wasserpferd damit zu töten, und jetzt habe ich sie schon zum zweiten Mal an diesem Tag in der Hand.
    Fundamentals Wirbelsäule krümmt sich. Ich fühle einen eigenartigen Sog unter den Füßen, als eins seiner Beine unter mir durchs Wasser fährt und mich beinahe nach unten zieht. Ich taste mich an seiner Mähne nach vorn. Meine Lunge fühlt sich an wie in meiner Brust zusammengequetscht.
    Ich kann nichts sehen und dann kann ich es doch.
    Fundamentals Augen sind weit aufgerissen, sodass das Weiße darin leuchtet, aber er sieht mich nicht. Ein glitschiges, dunkles Capaill Uisce hat seine Zähne in Fundamentals Kehle geschlagen. Blut quillt aus dem gezackten Riss wie dichter Rauch. Die Hufe des Capaill schnellen durch das Salzwasser, mühelos und gezielt. Mich beachtet es nicht. Das Capaill Uisce hält den jungen Hengst in seinem stählernen Griff und ich, ein kleiner, ungeschützter Eindringling in dieser Welt, stelle keine Bedrohung für es dar.
    Ich muss Luft holen. Mehr als das. Ich muss Luft und Luft und noch mal Luft holen. Aber vor mir sehe ich die langen, schmalen Nüstern des Capaill. Die Beeren fühlen sich hart und tödlich in meiner Hand an. Ich könnte es ertrinken lassen.
    Doch neben den zwei Köpfen sehe ich ein Stück von Fundamentals Wunde. Das starke, tapfere Herz des kleinen Hengstes pumpt mit hämmernden Schlägen das Leben aus seinem Körper.
    Ich kann ihn nicht retten.
    Ich war bei seiner Geburt dabei. Fundamental, ein außergewöhnlicher Hengst, in dem so viel von einem Wasserpferd steckt, dass er das Meer genauso sehr liebt wie ich.
    An den Rändern meines Sichtfelds flackern nie gekannte Farben.
    Ich muss ihn zurücklassen.

19
    Puck An diesem Abend warten Finn und ich zusammen auf Gabe. Ich koche Bohnen – zum Teufel mit dem Zeug, es ist, als würden wir nie etwas anderes essen –, während ich innerlich vor Wut schäume und mir zurechtlege, was ich zu ihm sagen werde, wenn er kommt. Finn werkelt unterdessen an den Fenstern herum, und als ich ihn frage, was er da macht, murmelt er irgendetwas von einem Sturm. Draußen vor dem Fenster ist der langsam dunkler werdende Himmel klar bis auf ein paar hohe Wolkenfetzen am Horizont, so dünn, dass man hindurchsehen kann. Nichts deutet auf schlechtes Wetter hin. Aber wer weiß schon, warum Finn tut, was er tut. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, ihm seine Frickelei auszureden.
    Wir warten und warten auf Gabe und das Gefühl, verraten worden zu sein, köchelt, brodelt hoch und köchelt dann wieder in mir. Es ist unmöglich, so lange wütend zu bleiben. Ich wünschte, ich könnte Finn sagen, was mich so offensichtlich bedrückt, aber ich kann ihm nicht von Malvern erzählen. Er würde nur wieder anfangen, an seinen Armen zu knibbeln, und noch

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