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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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länger für seine Waschrituale brauchen als sowieso schon.
    »Was hältst du davon«, frage ich bemüht zwanglos, während ich die Butterschale hin- und herdrehe, sodass die Eule auf der einen Seite erst mich, dann Finn und dann wieder mich ansieht, »wenn wir den Morris verkaufen – was ist denn daran so lustig?«
    Er rüttelt prüfend an einem der Fensterläden. »Der läuft doch noch nicht mal.«
    »Und wenn er laufen würde?.«
    »Vielleicht reparier ich ihn morgen«, murmelt Finn abwesend. Jetzt bin ich überzeugt, dass die Werkelei am Fenster nur ein Vorwand ist, damit er nach Gabe Ausschau halten kann. »Ich will nicht, dass er da draußen steht, wenn der Sturm erst richtig losgeht.«
    »Regen, ja, schon klar«, erwidere ich. »Also: verkaufen. Was meinst du?«
    »Na ja, kommt darauf an, warum wir ihn verkaufen.«
    »Um Dove besseres Futter kaufen zu können, für die Zeit, in der ich mit ihr trainiere.«
    Es folgt ein quälend langer Moment des Schweigens. Finn klopft mit dem Finger den Rand einer Fensterscheibe ab und beugt sich dann vor, um die Stelle, wo das Glas auf das Holz trifft, ganz aus der Nähe unter die Lupe zu nehmen. Er scheint seine Wetterschutzexperimente erst in aller Ruhe zu Ende bringen zu wollen, bevor er sich wieder auf unser Gespräch konzentriert.
    Nach einer Weile sagt er: »Ist besseres Futter denn so teuer?«
    »Hast du hier auf der Insel vielleicht schon mal irgendwo Luzerne wachsen sehen?«
    »Kann schon sein«, kontert Finn. »Ich weiß nicht, wie Luzerne aussieht.«
    »Wie das Innere von deinem Hohlkopf. Ja, es ist teuer. Wir müssten es vom Festland kommen lassen.« Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn so angefahren habe. Es ist nicht seine Schuld, dass ich schlechte Laune habe – es ist Gabes. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass ich heute Abend vielleicht nicht die Gelegenheit bekommen werde, ihn wegen Malverns Besuch zur Rede zu stellen. Aber ich kann auch nicht ewig aufbleiben. Ich muss morgen früh aufstehen, wenn ich wieder an den Strand will.
    Finn blickt betroffen. Ich fühle mich schrecklich. Vielleicht können wir noch irgendetwas anderes verkaufen, zum Beispiel die nichtsnutzigen Hühner, die sowieso nichts Besseres zu tun haben, als zu sterben, bevor wir sie schlachten können. Aber selbst die ganze Schar zusammengenommen würde wohl gerade mal genug Geld
    für einen einzigen Ballen Heu einbringen und kein bisschen gutes Kraftfutter.
    »Wird sie denn dann schneller?«, fragt Finn.
    »Ein Rennpferd sollte auch wie ein Rennpferd fressen.«
    Finn wirft einen Blick auf unser Abendessen, Bohnen mit einem Stück Speck, gesponsert von Dory Maud. »Wenn es sein muss.«
    Er klingt, als hätte ich ihn gebeten, sich das linke Bein abzusägen. Aber ich kann verstehen, wie er sich fühlt. Er liebt den Morris genauso wie ich Dove, und was bleibt ihm schließlich noch, wenn er nicht mehr das Auto hat, an dem er herumschrauben kann? Wohl nur die Fenster, und davon hat unser Haus nur fünf Stück.
    »Wenn ich gewinne«, sage ich zu ihm, »können wir ihn ja zurückkaufen.« Er sieht noch immer niedergeschlagen aus, also füge ich hinzu: »Dann können wir uns sogar gleich zwei kaufen. Ein Auto, das das andere abschleppen kann, wenn beim ersten der Motor schlappmacht.«
    Jetzt zeigt sich der Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht. Wir setzen uns an den Tisch und essen unsere Bohnen mit dem Stück Speck. Dann essen wir in schweigendem Einvernehmen auch noch den Rest des Apfelkuchens, ohne etwas für Gabe übrig zu lassen. Zwei Leute an einem Tisch, der für fünf gedacht ist. Ich weiß nicht, wie ich mit diesem Knoten aus Wut in meinem Bauch schlafen soll. Wo bleibt er?
    Ich denke an das übel zugerichtete Schaf, das Finn und ich auf dem Weg nach Skarmouth gefunden haben. Woher sollen wir wissen, ob Gabe heute nur länger arbeitet oder irgendwo tot im Straßengraben liegt? Und woher weiß er, ob wir sicher zu Hause sind oder tot im Straßengraben liegen?
    Finn spricht es schließlich aus. »Es ist, als wäre er schon weg.«

20
    Sean In dieser Nacht träume ich nicht. Ich liege schlaflos in meinem Bett und starre auf das kleine Rechteck schwarzen Himmels, das ich durch mein Zimmerfenster sehen kann. Obwohl ich wieder trocken bin, sitzt mir eine unangenehme Kälte in den Knochen, so als hätte ich einen Teil des Meeres geschluckt, das nun in mir weiterlebt. Meine Arme tun weh. Als müsste ich die Klippen aufrecht halten.
    Ich denke an Fundamental, der so

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