Rot wie das Meer
zielstrebig hinter dem Boot hergeschwommen ist. Nein, daran denke ich nicht. Ich denke daran, wie er den Kopf zurückgerissen hat, die Augen weiß, als ihn schließlich das Wasser verschluckte, so aufgepeitscht, dass es mich wie ein Nebel umhüllte.
Wieder und wieder tauche ich in die Fluten. Wieder und wieder ist es zu dunkel, zu kalt, zu schnell, zu spät.
Wieder und wieder sehe ich Mutt Malvern an der Mündung der Bucht stehen und zu mir herüberstarren.
Benjamin Malvern hat sich noch nicht gemeldet, aber das wird er. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Kendrick! Dalys Stimme, die mich warnt, zu spät.
Ich kann nicht liegen bleiben. Ich wälze mich aus dem Bett und stemme mich auf die Füße. Meine Jacke, die ich über den alten eisernen Heizkörper gehängt habe, ist noch nass und voller Sand. Ohne das Licht einzuschalten, suche ich nach meiner Hose und dem Wollpullover und gehe die schmale Treppe hinunter in den Stall.
Die drei Glühbirnen im Hauptgang werfen lediglich Lichtkreise auf den Boden unter sich. Alles andere liegt im Dunkeln; sogar das Ge-
räusch meines Atems wird von den Schatten verschluckt und lässt so die Schwärze endlos wirken. Die Vollblüter und die Arbeitspferde wiehern leise und hoffnungsvoll in ihren Boxen, als sie mich durch den Gang kommen hören. Nach dem, was an diesem Nachmittag passiert ist, kann ich ihren Anblick nicht ertragen. Ich habe sie alle auf die Welt kommen sehen, genauso wie ich Fundamental habe auf die Welt kommen sehen.
Doch die Geräusche kann ich nicht ausblenden, als ich an ihnen vorbeikomme. Sie kauen träge ihr Heu und stampfen mit den Hufen auf, wenn sie etwas an den Beinen kitzelt. Stroh knistert an Stroh. Tröstliche Pferdelaute.
Ich gehe an ihnen vorbei bis zu der Box ganz am Ende des Gangs und dort steht Corr. Gerade außerhalb der Reichweite des Lichts hat er die Farbe alten, getrockneten Blutes. Ich lehne mich in die Tür seiner Box und sehe zu ihm hinein. Im Gegensatz zu den Landpferden beschäftigt Corr sich nicht die ganze Nacht mit seinem Heu oder schnaubt vor sich hin. Stattdessen steht er vollkommen reglos in der Mitte seiner Box, die Ohren aufgestellt. In seinen Augen liegt etwas, was die Vollblüter niemals haben werden: etwas Wildes, Raubtierhaftes.
Er blickt mich mit seinem linken Auge an und sieht dann an mir vorbei, lauscht. Für ihn ist es unmöglich, Ruhe zu finden, beim Rauschen der hereinkommenden Flut, dem Geruch von Pferdeblut an meinen Händen, in meiner rastlosen Gegenwart.
Ich weiß nicht, was Mutt Malvern auf Dalys Posten zu suchen hatte, und ich weiß nicht, ob er glaubt, dass sein Vater nie erfahren wird, dass er dort stand, als das Capaill Uisce in die Bucht kam. Wieder denke ich an Fundamental, seine aufgerissenen, wild rollenden Augen. Mutt war bereit, ihn zu opfern, nur um mich zu verletzen. Nur für eine Chance, zu bekommen, was er wollte.
Was würde ich riskieren für die Chance, zu bekommen, was ich will?
»Corr«, flüstere ich.
Sofort drehen sich die Ohren des roten Hengstes in meine Richtung. Seine Augen sind schwarz und geheimnisvoll, wie kleine Ozeane. Er wird von Tag zu Tag gefährlicher. Wir werden von Tag zu Tag gefährlicher.
Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass Mutt Malvern ihn reiten würde, sollte ich jemals den Hof verlassen.
Mutt geht davon aus, dass Benjamin Malvern mich für das, was heute passiert ist, feuert. Stattdessen könnte ich einfach selbst kündigen. Ich denke daran, was für eine Genugtuung es wäre, mein gespartes Geld einzupacken und die Malverns und alles, was sie besitzen, hier zurückzulassen.
Corr gibt ein Geräusch von sich – ein kaum hörbares, absteigendes Wimmern. Es klingt wie ein Schrei unter Wasser. Aber aus Corrs Kehle ist es wie ein Leuchtfeuer in der Nacht. Ein Zeichen, das auf Antwort wartet.
Ich schnalze mit der Zunge, einmal, und er wird sofort still. Keiner von uns bewegt sich auf den anderen zu, aber wir verlagern beide gleichzeitig unser Gewicht auf die andere Seite. Ich seufze und er seufzt auch.
Ohne Corr kann ich nicht gehen.
21
Puck Mit Blick auf meine gestrigen Erlebnisse am Strand feile ich an einem neuen Plan. Lieber nehme ich die Gefahren der Flut in Kauf, die Möglichkeit, dass Wasserpferde aus dem offenen Meer zu uns heranschwimmen, als später zu reiten, bei Ebbe, mit der stetigen Bedrohung durch die Wasserpferde am Strand. Also stelle ich meinen Wecker auf fünf Uhr und sattle Dove, bevor sie auch nur richtig wach ist.
Gabe ist schon weg. Ich
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