Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
der Familie laufen in die Küche. Sie holen drei Gläser, die genauso aussehen wie das zerbrochene, und versuchen das Schicksal abzuwenden. Sie schmeißen sie unsanft zu Boden, eins nach dem anderen. Genau drei Mal hört man das Geräusch des zerspringenden Glases. Am Ende liegt über allem Schweigen.
Das absichtliche Zerschlagen der drei Gläser bewahrt Sultana nicht vor dem Tod. Mit ihr geht auch ihr Kind, das nicht rechtzeitig genug kam, um jener Welt zu begegnen, die so grausam mit seinen Eltern war. Stattdessen hat es alle Zeit, der Mutter zu begegnen. Das Mädchen wird in ihren Armen bestattet.
Die Schuld ist für immer beglichen, auch wenn die Ehen zwischen beiden Familien noch nicht beendet sind.
Fünf
Omer ist erneut Bräutigam. Nach der Hochzeit hoffte er, zu den alltäglichen Dingen zurückkehren zu können, zu den ihm lieben Gewohnheiten. Aber da sind diese verdammten Rituale, die dich und die Braut auf Trab halten. Familienbesuche, Mittag- und Abendessen, der Dritte, der Vierzehnte, der Vierzigste … Als hätten die Bergbewohner nicht genug Bürden zu tragen, halten sie an diesen jahrhundertealten Traditionen fest. Das Gute an seiner zweiten Ehe ist, dass sich alle bereits kennen. Keine neuen Schwiegereltern, keine neuen Großtanten. Die Braut wechselt, aber die Familie bleibt dieselbe.
Der »Dritte« ist der Besuch, den die junge Braut am dritten Tag nach der Trauung ihrer Verwandtschaft abstattet. Mit Geschenken beladen und in Begleitung des Ehemanns kehrt sie zur Mutter zurück, um ihr zu zeigen, wie glücklich sie in ihrem neuen Leben ist. Es ist ein wahres Fest für alle.
Der Besuch am ersten Tag ist dagegen gefürchtet, der sogenannte »Montagmorgen«, das Schlimmste, was einer Braut passieren kann. Von diesem Besuch kehrt keine zurück. »Die Braut war nicht mehr rein, behaltet sie, und mit ihr die Schande, die euch und eure gesamte Familie bedeckt.« Meistens endet es so, manchmal wird auch Blut vergossen.
Saba kommt am dritten Tag. Das war vorauszusehen, niemand hatte an ihr gezweifelt. Schweigend folgt sie Omer. Ein lebendes Bündel aus farbenfrohen Kleidern und schwerem Gold, das ihr die Brust schmückt. Ein winziges buntes Geschöpf, dessen kleine Schritte sich im Schatten des Ehemanns verlieren.
Omer raucht ruhig seine Pfeife und denkt an ganz andere Dinge. Genau dieselbe Szene hat er zehn Jahre zuvor erlebt, aber es war trotzdem anders. Vollkommen anders. Omer führte seine schöne Sultana am Arm, und er spürte, wie sich über ihren Köpfen die Strahlen der Sonne verfingen, jener Sonne, die das Lächeln der beiden erhellte.
Aber ist es immer dieselbe Sonne? Omer würde sie gern fragen, die Sonne, ob sie das Bild des Glücks mit Sultana bewahrt hat. Er würde gern die Augen schließen und schlafen in diesem neuen, trügerischen Licht. Er läuft durch denselben Sonnenschein, aber verdammt, es ist alles anders: Die Braut ist anders und auch er selbst. Vor allem aber hat sich das verändert, was man nach dem Besuch des Dritten von der Zukunft erwartet. Es sind nicht wir, die sich verändern, wir passen uns nur unseren veränderten Erwartungen an. Jetzt ist ihm alles gleichgültig: Der Dritte, Vierte, Siebte, hundert Jahre, welche Bedeutung haben sie? Für ihn ist die Zukunft nur noch ein Schlammtümpel, ein Sonnenuntergang, den man einsam betrachtet. Aber warum einsam? Der Raki wird ihm bis zum letzten Tag seines Daseins Gesellschaft leisten.
Omer begreift das alles gut, er begreift es mühelos. Er ist neugierig zu erfahren, welche Erwartungen dieses dumme Huhn hegt, das ihm schwer bepackt wie ein Esel folgt, ohne sich zu beklagen.
Anders als Omer denkt, erwartet Saba nicht viel. Außer dass er sich vielleicht dazu herablässt, ihr etwas von der Last, die sie auf den Schultern trägt, abzunehmen. Aber sie wagt nicht, darum zu bitten, so wie sie ihn für den Rest ihres Lebens niemals um etwas bitten wird, auch dann nicht, als all ihre Ängste verschwunden sind.
Saba weiß, dass sie für ihn nur ein Ersatz ist, und versucht auf ihre Weise, dieses elende Schicksal so leicht wie möglich zu nehmen. Wenn sie schon Omers Liebe nicht haben kann, denkt sie, kann sie zumindest versuchen, nicht seinen Hass auf sich zu ziehen. Aber sie ist nur ein Kind, und niemand hat ihr gesagt, dass sie damit alles noch schlimmer macht. So wird Omer nicht mehr sie, sondern sich selbst verachten, eben weil Saba ihm ständig das Gefühl gibt, überflüssig zu sein. Ihm wäre es lieber, sie würde sich
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