Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
was auch immer man unter Prostitution verstehen mag. Jedenfalls fanden die beiden Mädchen genügend Gelegenheit, sich auch in diesem Dorf voller Steine – und voller Männer – zu amüsieren.
Die andere Familie zählte dagegen ziemlich viele Mitglieder. Den Großvater, die Großmutter, Vater, Mutter und zwei Kinder. Alle aus der Hauptstadt. Der Alte war Parteimitglied gewesen, in der Regierung, aber dann war er, wie Saba sagte, »aus dem Sattel gekippt«. Er hatte da oben irgendein großes Ding gedreht, und sie hatten ihn zur Umerziehung in das »sozialistische Dorf« geschickt. Er musste auf den Feldern arbeiten, während die Kinder zur Schule gingen, all das also, was Saba und die übrigen Dorfbewohner auch taten, ohne interniert zu sein. Allerdings war Saba unter diesen Bedingungen aufgewachsen, die aus der Hauptstadt dagegen nicht.
Die Freundschaft zwischen Lisa und Saba hielt über vierzig Jahre. Sie tauschten Rezepte aus, fertigten am Webstuhl Teppiche, und oft nahm Saba sie mit zu ihren Schwestern, damit sie ihr aus dem Kaffeesatz lasen.
»Schau hin, schau genau hin«, sagte sie zu ihrer Schwester Esma. »Gibt es eine Öffnung nach außen? Die Ärmste ist wegen einem Mann angeschmiert worden, sie hat ihre Töchter seit Jahren nicht gesehen …«
Wenn jemand Saba darauf hinwies, dass die Öffnung, die sie im Kaffeesatz suchte, den Parteigrundsätzen zuwiderlief, antwortete sie: »Ich verstehe nichts von Politik, aber diese Frau hat niemandem etwas zuleide getan. Wessen Feindin könnte Lisa sein, wo sie es nicht mal fertigbringt, ein Huhn zu schlachten. Sie will zu ihren Töchtern, das ist alles.«
Saba wurde klar, dass Leute wie Lisa zu Unrecht zahlen mussten. Sie dachte, dass letztlich jedes System seine Schwachpunkte hat. Lisa war der Beweis, aber, wie es auf dem Land heißt, das brennende Stroh verzehrt auch das frische Gras. Die frische Lisa verzehrte ihre besten Jahre fernab von den Töchtern und ihrer wohlhabenden Familie, indem sie den Bauern minderwertige Stoffe und Schädlingsbekämpfungsmittel verkaufte.
Zehn
Mit verlorenem Blick steht Saba auf dem Platz, nimmt die im Hof getrocknete Wäsche und legt ein Teil nach dem anderen zusammen. So wie ein endloser Tag nach dem anderen vergeht, sich im Nebel des nahen Waldes verliert, und in den immer gleichen Dingen.
Heute kommen ihre Schwestern. Eine liebe Gewohnheit: Sie kann es kaum erwarten.
Jene süßen, von den Worten aus Kindheitstagen trunkenen Nachmittage rühren die Herzen aller.
Sie setzen sich vor dem Kamin auf den Quilim und eröffnen ihre Versammlung.
Die vier Schwestern bei ihren Treffen beisammen zu sehen ist ein Vergnügen. Eine ist verrückter als die andere. Ihre Verdrehtheit und, um es deutlich zu sagen, ihre exaltierte Art springen sofort ins Auge. Afrodita kommt mit dem Bus, der auf dem Platz im Zentrum von Kaltra hält. Das ganze Dorf schaut zu. Wie sollte es auch anders sein, bei all den feinen Kleidern und Frisuren von Afrodita und den sonderbaren Schirmen, die Esma durch die Luft schwenkt?
Bedena versucht dagegen, sich möglichst unauffällig zu der Verabredung zu begeben. Sie ist nicht darauf versessen, aber sie darf nicht fehlen, zumindest nicht in den Augen des Dorfes – und das heißt: in ihren eigenen Augen.
Bedena nimmt alles ernst: Sie hat nicht vergessen, dass Saba sie gebissen hat, als sie die ersten Zähnchen bekam, und stellt immer noch Ansprüche auf irgendwelche Stoffe, die man statt ihr der armen Esma zur Aussteuer gab.
»Freunde sucht man sich aus, Verwandte nicht. Was willst du machen?«, sagt Saba zu ihren Freundinnen.
»Seht ihr«, sagt dagegen Bedena zu den wenigen Frauen, die manchmal zum Kaffee bei ihr vorbeikommen, »bei meiner Schwester geht jedes Lumpenpack ein und aus, aber ich werde nie eingeladen.«
Als man Saba von Bedenas Worten berichtet, lächelt sie.
»Wer will, kann zu mir kommen. Mein Haus steht allen offen. Aber ich mache vor niemandem einen Buckel. Früher, vor langer Zeit, als ich noch eine andere Saba war, verbrachte ich meine Tage, indem ich vor der Schwiegermutter, den Schwägerinnen und meinem Mann buckelte. Diese Zeiten sind vorbei, diese Saba gibt es nicht mehr.« Damit beendet sie das Gespräch.
Esma und Afrodita sind schon seit einer Weile da. Aber Bedena lässt sich heute nicht blicken. Als die beiden nach ihr fragen, zuckt Saba mit den Schultern: »Scheinbar ist der Frieden in dieser Familie nur ein Traum.«
Keine erwidert etwas. Im Übrigen kennen alle
Weitere Kostenlose Bücher