Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Bedeutung waren. Aber nach vollendeten Tatsachen brauchst du nichts mehr hinzuzufügen, es ist belanglos, ob du dich auf eine Seite geschlagen hast, um dem großen Bruder oder deinem Lieblingscousin zu folgen.
Saba hatte nie Das Kapital gelesen und wusste auch nicht, was Kommunismus ist. Dennoch war sie Kommunistin. Aber das Wort war ihr egal.
»Kommunisten« waren diejenigen, die im Krieg gegen die Nationalsozialisten gekämpft oder Angehörige verloren hatten, so wurde es ihr erklärt. Punkt.
Auch ohne es zu verstehen, fand sie aus anderen, banaleren Gründen nach und nach Gefallen an der Sache.
In den Fünfzigerjahren hatte Saba bereits die dreißig überschritten. Ihrem Mann hatte man eine Arbeit in der Gemeindeverwaltung gegeben. Obwohl der Grappa noch immer sein ständiger Begleiter war, brachte er ein festes Gehalt nach Hause.
»Morgen werde ich ein paar Worte mit dem Parteisekretär wechseln«, verkündete Saba, und ihr Mann wurde zum Lämmchen. Heute würde man es Erpressung nennen. Aber was das anbelangt, hatten ihn die Frauen aus dem Dorf schon immer erpresst.
In jenen Jahren fand auch Saba eine Arbeit außer Haus, als Schneiderin in einer Genossenschaft. Auch sie brachte nun Einkünfte nach Hause. Nie zuvor hatte man in dieser Gegend erlebt, dass eine Frau Geld in die Hände nahm. Saba und ihre Freundinnen nahmen es nicht nur in die Hände, sondern konnten es auch ausgeben. Im Dorf waren zahlreiche Geschäfte eröffnet worden. Man war nicht mehr darauf angewiesen, dass die Schwiegermutter in die Stadt reiste, um für Schwiegertöchter und Enkel einzukaufen. Und niemand mehr durfte die Frau ohne ihre Kinder zum Vater zurückschicken, weil sie ihrem Mann nicht gehorcht hatte. Jetzt lief der Mann Gefahr, ein schlimmes Ende zu nehmen, wenn er versuchte, sie zu verjagen.
»Patriarch«, schrien die Frauen ihre Männer an, »rückständiges Individuum, unwürdig, die neue Gesellschaft mitzugestalten.«
Letztlich spielte es keine große Rolle, wie die Ehemänner und Hausherren genannt wurden, wichtig war, dass die Kinder den Frauen gehörten und sich keine mehr bedroht fühlte.
Saba besuchte mit ihren Freundinnen die Abendschule. Oft nahm sie sogar ihre Kleinen mit, die sich an sie kauerten und schliefen, während sie vorlas, was an der Tafel stand:
»Die Frau: Motor der Revolution.«
Zwischen einem Slogan und dem nächsten beendete sie die Mittelschule, aber für sie waren es längst nicht mehr bloße Slogans.
Nach der Geburt ihrer fünften Tochter, mit siebenunddreißig Jahren, schläft Saba nicht länger mit ihrem Mann. Nachts legt sie sich zu ihren Töchtern. Zwei von ihnen sind bereits verheiratet, ihre letzte Schwangerschaft fällt mit der ersten Schwangerschaft ihrer ältesten Tochter zusammen.
Saba erlebte die schönsten Jahre ihres Lebens. Ihre Kindheit hatte sie in einer großen Familie mit zu vielen Frauen verbracht. Kaum war eine unter der Haube, kam bereits die nächste ins heiratsfähige Alter. Man weiß ja, je eher sie gehen, umso besser. Mädchen sind wie Glas, wenn es zerbricht, ist es sinnlos, die Scherben zusammenzukleben. Bevor sie also zerbrachen und damit vor allem die Familienehre zerbrach, suchte man ihnen, sobald sie heranwuchsen, einen Mann. Manche traf es besser, manche schlechter. Das ist meistens eine Frage des Glücks. Aber ist es das nicht letztlich auch bei einer Liebeshochzeit?
Jetzt, nach so vielen Mühen, war Saba an einen Punkt gekommen, wo die Dinge einfach so waren, wie sie sein sollten. Sie ging arbeiten, die Kinder besuchten die Schule, sie hatte ihr eigenes Haus ohne die ganze Sippschaft ihres Mannes. Sie hatte viele Freundinnen, die in ihre Schneiderwerkstatt kamen und mit den von ihr genähten neuen Kleidern wieder gingen. Was sie erreicht hatte, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Sie war endlich Herrin über ihr eigenes Leben.
Neun
Eines Tages, während einer Genossenschaftsversammlung, spricht der Parteisekretär von der Eröffnung einer großen Kaufhalle im Dorfzentrum. Gemeinsam müssen sie eine Verkäuferin wählen. Nach einigen Vorschlägen, die wieder verworfen werden, hebt Saba die Hand und sagt:
»Lisa, ich schlage Lisa vor. Sie ist gebildet und kann gut rechnen, sie ist zuvorkommend und freundlich …«
Der Parteisekretär sieht Saba verblüfft an. Wo hat sie ihren Verstand gelassen? Eine zur Umerziehung internierte Fremde soll in der Kaufhalle arbeiten? Und wenn sie stiehlt? Wenn sie während der Arbeit bei den Bauern
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