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Rot wie Schnee

Rot wie Schnee

Titel: Rot wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Johannisbeeren, Stachelbeeren und Himbeeren. Weiße Plastikschalen und Eimer, Insekten und Stacheln.
    Das Paar am Fenster starrte ihn unverwandt an, als erwarteten sie von ihm, dass er handeln sollte. Er konnte die grauen Haare der Frau erkennen und das dunkle Brillengestell, das sie wie eine Eule aussehen ließ. Höchstwahrscheinlich hatten sie nichts mit der Befreiungsaktion zu tun. Die hatten einfach nur Angst.
    Kristiansson stand auf und rannte geduckt zur Haustür. Als er die Klinke niederdrückte, merkte er, dass die Tür offen war. Er trat ein und rief, sie könnten ruhig sein, aber sie sollten sofort vom Fenster wegtreten.
    »Haben Sie was gesehen?«, schrie er, als er den Hausflur betrat. Die Frau erschien. Sie war bedeutend jünger, als er angenommen hatte, vielleicht um die fünfundvierzig.
    »Die sind in ein Auto eingestiegen«, sagte sie.
    »Was für ein Typ?«
    »Ein Lieferwagen«, sagte der Mann, der jetzt auch auf den Vorplatz gekommen war.
    »Farbe und Marke?«
    »Blau«, sagte der Mann, »vielleicht so einer von den amerikanischen. Was ist denn passiert? Ein Raubüberfall?«
    Anders Kristiansson ließ das Paar mit seinen Fragen einfach stehen. Er rannte zum Streifenwagen. Sune Bark sprach erregt in das Funkgerät. Kristiansson riss ihm das Mikrofon aus der Hand.

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    D ie Flüchtigen ließen ihren blauen Lieferwagen in einem Waldstück gleich westlich von Norrtälje zurück. Dort warteten zwei Autos auf sie: ein Volvo, der schon bessere Tage gesehen hatte, und ein relativ neuer Audi. Björnsson und Brügger sprangen in den Audi, und José Franco setzte sich in den Volvo. Alles ging sehr schnell. Der Entführer verließ sie ohne ein Wort und verschwand zu Fuß im Wald. Sören Sköld und Agne Salme lagen gut verschnürt, geknebelt und mit verbundenen Augen im Lieferwagen.
    »Komm!«, schrie José Patricio Alavez zu, der das schnelle Hin und Her verwirrt beobachtete. Genau wie die anderen hatte er während der Autofahrt die Gefängniskleidung ausgezogen und sich aus einem großen Karton an Hosen, Hemden und T-Shirts bedienen können. Patricio hatte sich für ein Paar Jeans und ein weißes T-Shirt entschieden.
    »Wohin fährst du?«
    »Spring rein!«
    Der Audi war schon verschwunden. Patricio machte eine Geste zum Lieferwagen hin und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber José legte den ersten Gang ein, und der Volvo rollte los. Patricio rannte hinterher, und José bremste, lehnte sich über den Beifahrersitz und stieß die Tür auf.
    Kurze Zeit später fuhren sie auf einer Schotterstraße. Patricio schwieg. Nach einigen Minuten lachte José laut auf.
    »Freiheit!«, sagte er und sah Patricio an. »Mach den Sicherheitsgurt zu.«
    Sie fuhren auf Nebenstraßen. José schwieg. Patricio hatte sich immer noch nicht erholt. Vorhin hatte er noch Unkraut hinter hohen Mauern gezupft und war darauf eingerichtet gewesen, das weitere acht Jahre zu tun, und kurze Zeit später fuhr er in einem schönen Auto an Bauernhäusern vorbei, sah |299| Kühe auf der Weide und spürte durch die offenen Fenster den Fahrtwind.
    Er war erstaunt, dass während der Aktion so wenige Worte gewechselt wurden. Während der schnellen Fahrt mit dem Lieferwagen hatte Jussi Björnsson gar nicht gesprochen, und Stefan Brügger vielleicht zehn Wörter. Und jetzt war José auch ganz stumm.
    Das gefiel Patricio. Dass sie nicht geschrien und sich auf die Schultern gehauen hatten, dass sie nicht übermütig und lässig geworden waren. Das bedeutete für ihn, dass die Befreiung ernst war und gut durchgeplant. Das bewiesen auch die schnellen Autowechsel.
    Ihr Entführer war ohne ein Wort in dem mit Gestrüpp bewachsenen Gelände verschwunden. Patricio war klar, dass es keinen Zweck hatte, José zu fragen, wer der Mann war und wohin er verschwunden war. Vielleicht stand sein Auto auf der anderen Seite des Wäldchens? Wohin Björnsson und Brügger mit ihrem Audi wollten, konnte Patricio sich nicht vorstellen. Er kannte Schweden nicht. Bisher hatte er nur den Zoll, das Untersuchungsgefängnis und die Strafanstalt kennengelernt.
    »Wohin willst du?«, fragte José auf einmal.
    »Ich weiß nicht«, sagte Patricio, »ich weiß nichts.«
    »Ich fahr Richtung Norden«, sagte José.
    Patricio hatte gehört, dass es im nördlichen Teil des Landes Gebirge gab. Es sollte schön dort sein, hatte der Gefängnispfarrer gesagt, als er von Schweden erzählt hatte.
    »Uppsala, wo liegt das?«
    »Willst du nach Uppsala? Ich glaub nicht, dass das eine gute

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