Rot wie Schnee
einmal eine Runde um den Lastwagen, um die Schlingen zu kontrollieren, mit denen die Plane befestigt war.
»Dann fahr mal los«, sagte Enquist.
Der Alte wird wunderlich, dachte Sören, was allerdings unfreundlich war, denn bis auf zunehmende Schwierigkeiten mit dem Hören zeigte Enquist noch keine altersbedingten Schwächen.
Die erste Tour führte Sören Sköld zu einer kleinen Firma südlich der Stadt, wo er eine Palette mit vorgefertigten Lattenzaunteilen ablud. Danach waren es Türen und Isoliermaterial für ein Einfamilienhaus und anschließend in derselben Gegend Zubehör zum Verputzen, Nägel und ein Druckluftnagler für einen Bauunternehmer, den Sören noch von der Schule in Hallstavik her kannte. Der lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein, was Sören aber mit der Begründung ablehnte, er sei mit den Lieferungen in Verzug. Er vermutete, dass der Schulfreund Erinnerungen an früher austauschen wollte.
Er fuhr weiter in Richtung Norrtälje zur dortigen Strafanstalt. An der Abzweigung nach Vätö parkte ein dunkelblauer Saab so blöd, dass er die gesamte Kreuzung blockierte. Sören wartete einige Augenblicke, dann hupte er. Er sah zwei Männer im Wagen sitzen. Einer stieg aus und kam auf den Lastwagen zu. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, zeigte weder Ärger noch ein entschuldigendes Lächeln, weil er den Verkehr aufhielt. Sören seufzte. Hauptsache, die wollen keine Hilfe mit ihrem Auto, dachte er und ließ die Scheibe herunter. Ehe er noch reagieren konnte, war der Mann auf das Trittbrett gestiegen und hatte die Fahrertür geöffnet.
|293| »Jetzt übernehmen wir«, sagte er. Sein Atem stank nach Knoblauch.
An ihm war gar nichts Bedrohliches, er wirkte sogar richtig entspannt. Aber in der Hand hielt er einen schwarzen Revolver.
An das, was dann passierte, erinnerte Sören sich nur fragmentarisch. Der Psychologe, mit dem er am nächsten Tag ein Gespräch hatte, erklärte ihm, das sei eine ganz natürliche Reaktion. Er wusste nur noch, dass er plötzlich auf dem Beifahrersitz saß und dass der nach Knoblauch stinkende Mann einen Gang einlegte und losfuhr. Der Saab war verschwunden, und die Straße zum Gefängnis war frei. In dem Augenblick klingelte Sörens Handy.
»Geh nicht ran«, sagte der neue Fahrer, und erst in dem Moment erfasste Sören die Situation richtig. Sein Lkw war gekapert.
Der Scania wurde erwartet und konnte ohne weitere Zeremonien das Tor passieren. Der andere hatte Sören Sköld angewiesen, was er sagen sollte, falls vom Gefängnispersonal jemand nachfragte, warum sie zu zweit waren: Er habe einen Ersatzfahrer dabei, der eingearbeitet werden müsse.
Der Lkw fuhr bis an die Tischlerei heran. Dann ging alles enorm schnell. Die Tür zur Werkstatt wurde geöffnet, Agne Salme kam heraus und sprang auf den Gabelstapler, um damit zur Ladefläche zu fahren. Aus dem Augenwinkel sah er Sören Sköld, den er gut kannte, und einen unbekannten Mann, der auf ihn zuging.
Agne Salme stieg von dem Gabelstapler, hob die Hand zum Gruß, aber als er den Revolver in der Hand des Unbekannten sah, erstarrte er.
Von der Minigolfbahn, die gleich hinter der großen Fläche vor den Flachbauten zwei und drei lag, kamen im selben Moment drei Männer angerannt.
|294| Agne kannte Jussi Björnsson, Stefan Brügger und José Franco sehr gut. Das waren alles Langzeitinsassen.
»Nun machen wir alles ganz ruhig«, sagte der Mann mit dem Revolver. »Schlag die Plane hoch!«
Ohne zu protestieren oder ein Wort zu sagen, gehorchte Sören Sköld. Agne Salme hielt sich an die eingeübten Instruktionen bei Geiselnahmen und blieb völlig passiv, um die Situation nicht zu verschlimmern.
Als das Trio vom Minigolfplatz an Patricio Alavez vorbeikam, der am Zaun rund um den Sportplatz Unkraut zupfte, blieb José Franco stehen und schrie Alavez etwas zu. Salme sah, wie der Mexikaner zu dem Lastwagen hinüberstarrte, zögernd den Korb abstellte, Franco, der weitergerannt war, hinterherschaute und ihm dann langsam folgte.
Jussi Björnsson bekam von seinem Kompagnon sofort einen Revolver, Brügger, der nervöseste von allen, stellte sich ganz in die Nähe von Salme.
»Na, du verfluchter Sklaventreiber, jetzt bin ich entlassen. Kapierst du? Schraub doch deine Scheißbretter selbst zusammen!«
Agne Salme nickte. Er war zu klug, um irgendetwas zu kommentieren. Der Deutsche hatte früher in der Schreinerei gearbeitet, und Salme kannte den unberechenbaren Mörder aus Rostock nur allzu gut.
»Fuck you«, fauchte José Franco,
Weitere Kostenlose Bücher