Rot wie Schnee
Verwirrung stiften wollte.
Aber Zero stand einfach auf und verließ die Schule. Zeros Vater saß zu Hause und las Zeitung. Zero fragte ihn, ob es das Land Kurdistan gäbe. Der Vater ließ die Zeitung sinken und sah ihn lange an.
»Hier«, sagte er und klopfte sich auf die Brust, »hier drinnen gibt es Kurdistan. So Gott will, ziehen wir einmal dorthin und bauen uns ein Zuhause auf. Wenn wir nur dem Herzen folgen, werde ich einmal in Kurdistan Busse fahren.«
In Schweden fuhr er Stadtbusse, häufig Linie 13.
»Das ist mein Glück«, sagte er und lachte.
Er hatte kein Verständnis für die Schweden, diese abergläubischen Menschen, und ihre Angst vor Zahlen. Er liebte Busse, und er fuhr gern die Linie 13.
Zero fürchtete sich. Er fürchtete sich immer häufiger. Am meisten davor, dass sein Vater nicht aus der Türkei zurückkommen |329| würde. Nachts träumte er davon, den Vater aus dem Gefängnis zu befreien. Dann fuhr er den Bus bis ganz dicht an die Gefängnismauer, auf deren Krone der Vater und dessen Freunde geklettert waren, und sie sprangen herunter und landeten auf den Sitzen des Busses. Wenn der Bus voll war, fuhr Zero diese sechzig Kurden in die Freiheit. Der Vater saß ganz vorn und zeigte ihm, wie er fahren musste, deutete mal nach rechts, mal nach links, wurde aber nie ärgerlich. Der Vater strahlte vor Stolz, und er drehte sich zu seinen Kameraden um, deutete auf den Fahrer und berichtete ihnen, das sei sein Sohn, zwar nicht der älteste, aber der mutigste.
Wenn Zero aufwachte, war er zuerst glücklich, dann fürchtete er sich.
Als er vor dem Fyris-Kino stand, war das eine ganz andere Furcht. Seit dem Zusammenstoß mit dem Drogenhändler in Sävja hatte sich Zero nur mit äußerster Vorsicht bewegt. Er war nicht zur Schule gegangen, hatte sich vor seinen Brüdern versteckt und nur mit seiner Mutter und Patrik telefoniert.
Es erschreckte ihn sehr, dass ihn der Mann mit dem Mercedes gefunden hatte. Das Auto war langsam näher gerollt, stehen geblieben und hatte gewartet, bis Zero herangekommen war. Er wollte gerade im Laden an der Ecke einkaufen.
Zero sah ein, dass die anderen viel Macht haben mussten. Nicht einmal seine Familie wusste, wo er sich aufhielt. Hatte Patrik etwa gesungen? Zero glaubte es nicht. Bestimmt hatte Roger ihn verpfiffen. Der trank jeden Tag Schnaps, warf dauernd Tabletten ein und war ständig in Geldnot. Zero mochte ihn nicht, aber weil er allerlei für ihn erledigte, durfte er in Rogers Wohnung in Gottsunda wohnen. Vielleicht hatte Roger Zero für Schnaps und Tabletten verkauft?
Der Mann im Mercedes sagte, alles würde sich klären, und die alten Schulden seien nicht länger aktuell, und alles sei vergeben und vergessen. Alles, was er noch tun müsste, sei, |330| um Entschuldigung zu bitten und eine wichtige Person zu treffen.
Zero war noch nie im Fyris-Kino gewesen, er hatte bisher nicht mal gewusst, dass es dieses Kino gab. Die Filme, für die sie in der Auslage Reklame machten, sagten ihm nichts.
Wie verabredet stand Zero einige Minuten vor dem Kino, dann ging er den Hügel hinauf. Im Hintergrund waren hohe Bäume zu erkennen, das musste der Friedhof sein, wohin er kommen sollte.
An der Mauer zögerte er. Der Friedhof vor ihm lag im Dunkeln. Die Bäume bewegten sich im starken Wind, als wären sie beunruhigt über das, was geschehen sollte.
Er schlüpfte durch ein Loch in der Mauer. Kies knirschte unter seinen Füßen. Als es plötzlich knackte, blieb er wie angewurzelt stehen. Aber es war nur ein Ast, der in der Baumkrone abgebrochen war und schließlich auf einer Grabplatte landete.
Zero ging weiter, überzeugt davon, dass er beobachtet wurde. Nichts war darüber gesagt worden, wen er treffen oder was geschehen sollte. Jetzt bereute er, dass er sich darauf eingelassen hatte. Zwischen den Toten herumzugehen, gefiel ihm gar nicht. Wieder knackte es über ihm, und Zero war überzeugt, dass ihm gleich ein Ast auf den Kopf fallen oder ein umstürzender Baum ihn unter sich begraben würde.
Plötzlich sah er, wie sich eine Gestalt, zum Teil noch von Grabsteinen verdeckt, näherte und ein paar Meter von ihm entfernt stehen blieb. Zero konnte nicht erkennen, wie er aussah, sondern nur sehen, dass es ein großer Mann im dunklen Mantel war, der den Hut tief in die Stirn gezogen hatte.
»Zero?«
»Ja, das bin ich.«
»Gut, dass du gekommen bist.«
Der Unbekannte sprach so leise, dass Zero ihn in dem heftigen Wind kaum verstand und ein paar Schritte auf ihn
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