Rot wie Schnee
Video waren Teile eines Puzzles. Aber Lindell verstand immer noch nicht, wie alles zusammenhing.
Nach dem Telefonat nahm sie sich wieder ihren Block vor. Sie zog neue Kreise und Pfeile und versuchte eine Entwicklungslinie aufzudecken, die auch standhielt.
Das Telefon klingelte. Sie sah auf dem Display, dass es Haver war, und nahm ab.
»Sauber wie geleckt«, begann er. »Nichts im Auto zu finden, das irgendeinen Hinweis gibt. Wir müssen abwarten, ob die Techniker was finden. Armas hatte offenbar für Spanien alles fertig gepackt und war bereit, loszufahren. Zwei kleinere Reisetaschen und eine Schultertasche lagen im Kofferraum. Soweit ich sehen kann, unberührt. Das spricht gegen Raubmord.«
Lindell hörte im Hintergrund Stimmen.
»Bist du noch unten am Fluss?«
»Ja, aber sowie wir den Abtransport geklärt haben, bin ich weg. Wir müssen den Wagen hier in der Werkstatt untersuchen.«
»Und außerhalb des Autos keine Spuren?«
»Morgansson kümmert sich darum, aber auf dem Platz liegt Kies, die Chancen sind also minimal.«
Sie beendeten das Gespräch, und Lindell kritzelte weiter in ihren Block. Warum stand das Auto so weit vom Tatort entfernt? Fuhr der Mörder es dorthin? Oder trafen sie sich dort und fuhren gemeinsam im Auto des Mörders zum Lugnet? Nein, dachte sie laut, der Wagen war mit einer Plane abgedeckt. Er wollte, dass es dauert, bis wir den Wagen finden. Der Mörder hatte alles getan, damit es keine sichtbare Verbindung gab zwischen dem Tatort, wo er höchstwahrscheinlich zeltete, und dem Auto. Ihr erschien es am wahrscheinlichsten, |324| dass der Mörder das Auto nach dem Mord dorthin gefahren hatte. Dann war er zum Zeltplatz zurückgekommen. Vielleicht hatte er einen Helfer, der ihn zurückfuhr? Bislang hatten alle von einem einzelnen Täter gesprochen. Aber konnte man denn ausschließen, dass es einen Helfer gab?
Sollten sie Rosenberg einbestellen? Er war wahrscheinlich das schwächste Glied in der Kette. Er hatte mit Slobodan Andersson zu tun, und er kannte diesen Lorenzo Wader, für den sich die Kollegen aus Stockholm und die aus Västerås interessierten.
An dieser Stelle wurde sie durch Ottosson in ihren Überlegungen unterbrochen. Er klopfte kurz an und betrat ihr Büro.
»Ich habe traurige Neuigkeiten«, begann er. »Berglund geht es schlecht.«
Lindell spürte seine Ratlosigkeit. Aber sie wollte, dass mit Berglund alles in Ordnung war, etwas anderes wollte sie nicht hören.
»Er hat einen Hirntumor.«
»Nein!«, rief Lindell. »Das ist nicht wahr!«
»Sie haben so eine Röntgenaufnahme gemacht«, fuhr Ottosson fort und verhedderte sich in seinem Bericht über das, was er wusste.
Auch wenn es unzusammenhängend war, redete er immer weiter, denn die Alternative wäre Schweigen gewesen. Lindell hörte ihm zu, und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Mechanisch wischte sie sie weg. Schließlich verstummte Ottosson.
»Und wie geht es weiter?«
»Montag wird er operiert«, sagte Ottosson.
»Hast du mit ihm gesprochen? Wie nimmt er es auf?«
Ottosson nickte.
»Du weißt, wie er ist. Er lässt grüßen.«
Alle Überlegungen zu den Ermittlungen, die sie noch vor wenigen Minuten optimistisch und tatendurstig gestimmt |325| hatten, wirkten schlagartig so sinnlos. Berglund war ihr Favorit, ihr Mentor und ihr lebendes Nachschlagewerk für alles, was Polizeiarbeit und die Stadt Uppsala anging. Ohne Berglund kam ihr alles so unwichtig vor.
»Berglund«, murmelte Ann Lindell, und wieder liefen die Tränen.
»Wir müssen einfach das Beste hoffen«, sagte Ottosson.
Sie merkte, dass er etwas Tröstliches sagen wollte; das wollte er, wenn möglich, ja immer. Aber die Diagnose Hirntumor wog so schwer, dass nicht einmal Ottosson aufmunternde Worte finden konnte.
Als Ottosson schließlich schweren Herzens Lindells Büro verlassen hatte, blieb sie in Gedanken versunken am Schreibtisch sitzen. Sie sah Berglund vor sich, sein verschmitztes Lächeln, sein herzliches Lachen und den Eifer, den er an den Tag legen konnte, wenn er bei seinem Gegenüber Interesse und Verständnis erkannte. Sie ertappte sich dabei, dass sie so tat, als sei er schon tot und begraben.
Es dauerte eine Stunde, bis sie wieder etwas tun konnte. Sie rief Beatrice an und schlug vor, Konrad Rosenberg für den nächsten Morgen einzubestellen.
Kurz nach drei Uhr kam Haver zurück. Ann Lindell schaffte es einfach nicht, ihn zu unterbrechen und von Berglund zu berichten, sondern ließ ihn gewähren. Er würde es schon
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