Rot wie Schnee
Mexikaner, der stundenlang auf denselben Fleck starrte, selbst wenn er gut gekleidet und nüchtern ist, auf die Dauer Aufmerksamkeit erregt. Er war deshalb in einen nahe gelegenen Park gegangen und hatte versucht zu schlafen. Aber er war noch immer viel zu aufgeregt von der Flucht, und das Abschalten fiel ihm schwer.
Jetzt war er hungrig, müde und unruhig. Ob der Dicke oder der Lange überhaupt auftauchen würden? Natürlich könnte er einfach im Lokal nach ihnen fragen, aber er hatte Angst, |343| dass man ihn erkennen könnte. Nur – was würden sie tun? Die Polizei anrufen?
Irgendwie bedauerte er, dass er abgehauen war, aber alles war so schnell gegangen, zum Nachdenken hatte er keine Zeit gehabt. Die Routinen im Gefängnis gaben Schutz. Jetzt war er ein Gejagter ohne Freunde, zwar mit schwedischem Geld in der Tasche, aber ohne Pass, und die Möglichkeiten, sich auf Dauer versteckt zu halten, waren gering. Für den Ausbruch würde er mit Sicherheit eine lange Haftstrafe bekommen, aber das war ihm eigentlich egal. Acht Jahre im Gefängnis oder fünfzehn, das spielte keine Rolle.
Ihm war, als wäre sein Leben in dem Moment zu Ende gegangen, wo er das Dorf und Oaxaca verließ, um nach Europa zu fliegen. Wie oft hatte er sich inzwischen schon für seine Gutgläubigkeit verflucht. Wie hatte er sich nur einbilden können, ein Gringo würde sich tatsächlich daran beteiligen wollen, einen Mexikaner reich zu machen? Manuel sagte immer, das Wichtigste sei die Heimaterde, und die zu verlassen sei das Gleiche wie seine Familie und seine Herkunft zu verlassen.
Was bedeutete es, reich zu sein, fragte er sich, während er die Menschen beobachtete, die durch die Tür des »Dakar« kamen und gingen, aber er fand keine Antwort. Was es bedeutete, nicht reich zu sein, wusste er. Wie sah denn das Leben in einem Dorf aus, wo fast alle immer nur noch ärmer wurden? Warum zogen die Jungen weg – nach Oaxaca, nach Mexiko City und in die Vereinigten Staaten?
Sogar Manuel war ohne viel Aufhebens gegangen.
Patricio verließ seinen Beobachtungsposten und lief unruhig auf dem Bürgersteig auf und ab. Da immer mehr Gäste aus dem »Dakar« herauskamen, nahm er an, dass das Lokal bald schließen würde. Durch das Fenster konnte er einen Tresen erkennen, an dem immer noch Gäste standen. Er sehnte sich nach einem Glas
Mescal
, danach, das Brennen und die |344| Wärme in Mund und Rachen zu spüren. Um nicht in Versuchung zu geraten, kehrte er zu seinem geschützten Platz im Gebüsch zurück.
Da entdeckte er plötzlich ein bekanntes Profil. Um besser sehen zu können, trat Patricio einen Schritt aus dem Schatten heraus. Aber natürlich, dort auf dem Bürgersteig, das war der Dicke. Neben ihm ging ein anderer Mann. Er sagte etwas, worauf Slobodan Andersson lachte. Konnte das der Lange sein? Nein, dazu war der Mann an Slobodan Anderssons Seite zu jung.
Er lacht, dachte Patricio verbittert, und die Wut schoss in ihm hoch. Er musste sich sehr beherrschen, um nicht sein Versteck zu verlassen und mit wenigen Schritten die Straße zu überqueren. Mit seinen bloßen Händen könnte er den Mann umbringen, ihn dann wie einen überfahrenen Dorfköter auf der Straße liegen lassen. Er brauchte keine Waffe, seine Wut reichte. Angel wäre dann endlich gerächt.
Die Männer kamen zum »Dakar«, blieben stehen und diskutierten. Slobodan Andersson sah noch fetter aus als damals in Mexiko, als Patricio ihn kennengelernt hatte. Der Dicke hat Geld genug, um gut zu essen, dachte er mit Abscheu.
Die plötzliche Einsicht, dass es Gottes Wille gewesen sein musste, weshalb er aus dem Gefängnis abhauen konnte, verbesserte seine Stimmung. Einen Augenblick lang fühlte er sich sogar glücklich. Der Ausbruch verschaffte ihm die Möglichkeit, sich zu rächen.
Slobodan Andersson öffnete die Tür zum »Dakar«, wechselte mit seinem Bekannten noch ein paar Worte und betrat dann das Restaurant. Als der andere Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorbeiging, trat Patricio schnell ein paar Schritte zurück ins Dunkel.
Dieses Mal hatte es nicht geklappt, aber beim nächsten Mal würde Slobodan Andersson allein sein. Er, Patricio, musste nur abwarten.
|345| Slobodan Andersson nickte Måns zu, sah sich im Restaurant um, grüßte den einen und den anderen Bekannten, und auf einmal fiel ihm Lorenzo Wader ein. Hoffentlich kommt er heute nicht, dachte er und wollte schon den Barkeeper fragen, ob er den unangenehmen Gangster gesehen hatte. Denn dass Wader ein
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